Zur Eröffnung des Jahrgangs 2011 der „Unser-Recht“-Briefe knüpfen wir an eine ermutigende Erfahrung aus dem Vorjahr an: Der Versuch, die Todesstrafe wieder einzuführen, löste in der schweizerischen Gesellschaft offenbar eine derart starke und breite  Immunreaktion aus, dass für das Initiativkomitee, nachdem es die Unterschriftensammlung abgebrochen hatte, bisher niemand in die Lücke sprang.

Am 30. Dezember 2010 veröffentlichte die „Neue Zürcher Zeitung“ einen sehr lesenswerten Bericht ihres USA-Korrespondenten Beat Ammann: „Sinkende Tendenz bei den Todesurteilen in den USA. Hohe Kosten in Zeiten der Geldnot und anhaltende Auseinandersetzung um Hinrichtungsmethoden.“

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In manchen Gliedstaaten, deren Gesetze die Todesstrafe erlauben, seien Exekutionen suspendiert. Oft lehnten neu gewählte Politiker deren Durchführung ab. Laut dem Death Penalty Information Center (DPIC) stimme es längst nicht immer und überall, dass ein Kandidat oder eine Kandidatin für ein gewähltes Amt sich schade, wenn er oder sie gegen die Todesstrafe auftrete.

Neben den Kontroversen um die Hinrichtungsart hätten auch andere Faktoren auf eine geringere Zahl von Vollstreckungen und sogar von Todesurteilen hingewirkt. In den letzten Jahren sei manchenorts die Bestrafungsart lebenslängliche Haft verschärft worden. Neue Gesetze erlaubten es, als Bestandteil der Strafzumessung die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung für immer auszuschliessen.

Ferner seien neue Fälle von Justizirrtümern und unfairer Prozesse bekanntgeworden. Seit 1973 seien 138 Personen aus Todeszellen in die Freiheit entlassen worden, nachdem sich ihre Unschuld erwiesen hatte. Das Oberste Gericht habe zudem die Anwendbarkeit der Todesstrafe verengt, sowohl hinsichtlich der Art der Delikte wie der Täter.

John Paul Stevens, der von Ende 1975 bis Mitte 2010 dem Obersten Gerichtshof der USA angehörte, sei in einem Essay zum Schluss gekommen, dass die Todesstrafe eine «nutzlose und unnötige Auslöschung von Leben mit nur marginalem Beitrag zu irgendeinem erkennbaren sozialen oder öffentlichen Zweck» sei. Stevens, der in der «New York Review of Books» das Buch «Peculiar Institution: America’s Death Penalty in an Age of Abolition» des britischen Gelehrten David Garlandbesprach, hält die Todesstrafe für «unklug und nicht gerechtfertigt». Stevens zitiere einen Fall des Obersten Gerichts, in dem 1987 eine Studie über den statistisch signifikanten Einfluss der Rassenzugehörigkeit auf das Urteil eine Rolle gespielt habe. Demnach seien in Georgia Mörder von Weissen ein elf Mal so hohes Risiko ein, zum Tode verurteilt zu werden, als Mörder von Schwarzen.

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Nicht überraschend rückt eine Wiederaufnahme der Todesstrafe-Initiative in den Bereich des Möglichen: Marcel Graf, der mit Familienmitgliedern die Initiative lanciert und zurückgezogen hat, stellt in einem Interview mit „Sonntag“ (29. August 2010)  fest, dass sich andere Kreise, welche im Gegensatz zu ihm „kugelsicher“ seien (also resistent gegen Druck auf Person und Familie), für eine Wiederaufnahme der Initiative interessieren: „Sie sehen ihr Engagement als Berufung“. (S. 5)

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In einem Textkasten, den „Sonntag“ zu diesem Interview gestellt hat, nimmt Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf zur Todesstrafe und zur Frage einer Erweiterung der Ungültigkeitskriterien für Volksinitiativen Stellung: „Sie empfinde das inzwischen zurückgezogene Volksbegehren als ‚Ausdruck der Sorge und Trauer, aber auch von Ohnmachtsgefühlen von Menschen, die durch eine schreckliche Straftat betroffen sind‘, sagt Eveline Widmer-Schlumpf. Diese Sorgen gelte es ernst zu nehmen, doch das Ansinnen der Initianten sei ‚ohne Wenn und Aber entschieden abzulehnen‘. Die keineswegs unfehlbare Justiz müsse vor dem Risiko, Unschuldige zu töten, bewahrt werden. Die Todesstrafe drohe den Wert des menschlichen Lebens zu relativieren. ‚Zudem trägt diese archaische Form der Strafe nicht zur Senkung der Kriminalität bei‘, so Widmer-Schlumpf. Nach der Lancierung der Todesstrafe-Initiative ist die Diskussion um höhere Hürden für Volksinitiativen neu aufgeflammt. ‚Für den Bundesrat stellt sich die Frage, ob Volksinitiativen nicht strengeren Gültigkeitsvoraussetzungen unterworfen werden sollen‘, sagt Justizministerin Widmer-Schlumpf. Der Bundesrat habe deshalb am 9. März das Justiz- und das Aussendepartement beauftragt, einen Bericht über die Möglichkeiten zu verfassen, wie Widersprüche zwischen Initiativrecht und Völkerrecht vermieden werden könnten.“

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Die Todesstrafe-Initiative ist am 25. August 2010 zurückgezogen worden – aber wähnen wir uns nicht in falscher Sicherheit. Die entschiedene Abwehr, auf die sie in breiten Teilen des politischen Spektrums stiess, ist ermutigend. Nicht zu verkennen sind aber auch die zustimmenden Reaktionen in Online-Medien und etwa auch in Leserbriefen im „Blick“. Eine  rechtsextreme Kleinpartei hatte bereits ihre Unterstützung erklärt. Die in den vergangenen Tagen freigesetzten Energie für einen besseren Schutz der Grundwerte unserer Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention dürfen nicht wieder erlahmen. Die nächste Bewährungsprobe kommt bestimmt.

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Prof. Dr. iur. Lukas Gschwend, Extraordinarius für Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie und Strafrecht an der Universität St. Gallen (HSG) sowie Titularprofessor an der Universität Zürich, verdanken wir folgenden wichtigen Hinweis auf die Bedeutung der Schuldfähigkeit für die Todesstrafe:

„Selbst wenn die Todesstrafe gegen Sexualmörder zulässig wäre, gäbe es kaum je einen Fall, wo sie wirklich ausgesprochen werden dürfte, zumal diese Täter in aller Regel erhebliche psychische Störungen aufweisen, welche die Schuldfähigkeit massiv beeinträchtigen. Im Gegensatz zum amerikanischen Strafrecht müsste dies in der Schweiz auf jeden Fall berücksichtigt werden. In der globalen Kriminalitätsgeschichte der letzten 50 Jahre sind mir v. a. zwei Fälle bekannt, in denen die Todesstrafe gegen Sexualmörder zur Anwendung kommen konnte, weil die Schuldfähigkeit gegeben war. Es handelt sich um die Fälle von John Wayne Gacy und Ted Bundy in den USA. Beides waren hochintelligente Straftäter, die im Sinne Kants wohl das ‚radikal Böse‘ vertreten haben. Gacy war sogar in Chicago prominenter Wahlhelfer von Jimmy Carter und Ted Bundy war Psychologe und Jusstudent, der sich ebenfalls politisch betätigt hat und über einen sehr hohen IQ verfügte. In diesen Fällen war die Todesstrafe jedenfalls aus der Sicht des Vergeltungsstrafrechts nicht unangemessen.“

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Dadurch erlangt die Parlamentarische Initiative von Nationalrätin Andrea Geissbühler (SVP, Bern) eine besondere Bedeutung für die Debatte über die Todesstrafe:

„Artikel 19 StGB über den Straferlass bei Schuldunfähigkeit bzw. die Strafmilderung bei verminderter Schuldfähigkeit des Täters ist zu streichen. Artikel 20 StGB ist ebenfalls zu streichen, das heisst, die Anordnung von Begutachtungen durch die Untersuchungsbehörde oder das Gericht fällt weg.“

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Hier finden Sie eine Bibliografie französischsprachiger und einer englischsprachigen Publikationen zu Recht auf Leben und Todesstrafe.

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Gleich nach der Ankündigung einer Unterschriftensammlung für eine Volksinitiative zur Wiedereinführung der Todesstrafe bei Mord mit sexuellem Missbrauch trat die Frage nach deren Gültigkeit in den Vordergrund. Die Sonntagspresse vom 22. August 2010 berichtet ausführlich darüber.

Jörg Paul Müller vertritt in der „NZZ am Sonntag“ die Auffassung, das Verbot der Todesstrafe sei „streng juristisch betrachtet kein universelles, zwingendes Völkerrecht“. Über die Todesstrafe gebe es „keinen weltweiten Konsens – denken Sie an Länder wie die USA, China oder Iran.“. Das Parlament würde „eine neue, extensive Auslegung der Verfassung“ vornehmen, wenn es die Initiative für ungültig erklärte. Allerdings müsste die Schweiz bei Annahme der Initiative die Zusatzprotokolle Nummer 6 und 13 zur EMRK kündigen, was zwar „rechtlich möglich, real aber undenkbar“ sei.

Laut „Sonntag“ unterstützt Giusep Nay „die Bestrebungen, die Kriterien für eine Ungültigkeitserklärung bei Initiativen zu erweitern: ‚Eine Volksinitiative, muss auch dann für ungültig erklärt werden, wenn sie gegen elementare Grundrechte der Bundesverfassung verstösst.“

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Die „NZZ am Sonntag“ stellt fest, dass die hängigen Vorstösse, die die Unabhängigkeitsgründe erweitern und das Prozedere ändern wollten, für die Volksinitiative zur Todesstrafe zu spät kämen. Dass sich das Parlament aber mehrheitlich zu einer „extensiven Auslegung“ entschliessen könnte, scheint nicht ganz ausgeschlossen, nachdem nebst Vertreterinnen und Vertreter von SP und Grünen auch CVP-Präsident Christophe Darbellay entschieden für eine Ungültigerklärung eintritt. Die angefragten SVP-Vertreter (Blocher, Mörgeli, Fehr, Rickli, Wobmann) sprechen  sich dafür aus, das Volk entscheiden zu lassen; anders ihr Walliser Parteikollege Freysinger: «Die Todesstrafe darf nicht vors Volk kommen, weil sie den Pfeilern des Rechtsstaates widerspricht.»

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Gegenüber ‚Unser Recht‘ stellt Prof. Dr. Jörg Paul Müller zu den von ihm zitierten Äusserungen in der „NZZ am Sonntag“ vom 22. August 2010  zur Todesstrafe-Initiative („Unser Recht“ Nr. 208 vom 22.8.) Folgendes klar:

„Ich habe mich nur mit Bezug auf die Auslegung des Begriffs ‚zwingendes Völkerrecht‘ dahin geäussert, dass eine Ungültigerklärung nur durch eine neue, extensive Interpretation der Verfassung durch das Parlament erfolgen könnte. Ich habe gegenüber der ‚NZZ am Sonntag‘ klar zum Ausdruck gebracht, dass die Unmöglichkeit der Umsetzung als Ungültigkeitsgrund für mich offen sei und sich immerhin auf ein Präjudiz beziehen könnte (faktische Unmöglichkeit im Fall der sog. Initiative Chevalier).

Vor allem gilt es aber richtig zu stellen, dass es für eine Verfassungsänderung im Sinne einer Erweiterung der Ungültigkeitsgründe (etwa im Falle eines Verstosses gegen Kerngehalte von Grundrechten oder anderer Grundlagen von Rechtsstaat und Demokratie) auch für die angekündigte Verfassungsinitative Todesstrafe nicht zu spät ist. Es sind parlamentarische Vorstösse pendent in dieser Richtung, und es ist für mich völlig ausgeschlossen, dass diese durch die Eröffnung einer Unterschriftensammlung blockiert werden könnten. Für die konkrete Unterschriftensammlung ist einzig die Idee einer Vorprüfung als Neuerung nicht mehr realisierbar.

Ich bedaure, wenn der Eindruck entstünde, ich sei in irgend einer Weise für die Sache der Initianten.“

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Ebenso wichtig und dringend wie die Diskussion über die Ungültigerklärung sind aber die Gegenargumente gegen die Todesstrafe. Wenn die Initiative ungültig erklärt würde, wäre dies für die Gegenseite ein Signal zum längst geplanten Initiativ-Angriff gegen die Einschränkung des Initiativrechts an sich: siehe „SVP plant Initiative zur Beseitigung aller Schranken des Initiativrechts“.

Durch eine Ungültigerklärung gewinnt man allenfalls Zeit, aber die Forderung nach der Todesstrafe ist irreversibel lanciert und könnte durch die Gültigkeitsdebatte  sogar Auftrieb erhalten. Und die Einwände, die Initiative sei undurchführbar bzw. die Kündigungen der entgegenstehenden EMRK-Protokolle seien undenkbar, könnten durch eine Volksinitiative auf Kündigung der EMRK unterhöhlt werden.

Beatrice Luginbühl gliederte in ihrer Dissertation die Argumente gegen die Todesstrafe („Im Kampf gegen die Todesstrafe: Jean-Jacques Comte de Sellon (1782 – 1839)“ (Band 41 der Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte), Zürich 2000):

1. Erfahrungen mit der Abschaffung der Todesstrafe – ein Blick über die Landesgrenze und in die Vergangenheit.

2. Der Widerspruch zum christlichen Menschenbild.

3.  Die Wirksamkeit der Todesstrafe

4.  Das Fehlurteil

5.  Der Besserungsgedanke

Als Diskussionsanstoss sei hier die Annahme vertreten, dass das Argument „Fehlurteil“ die stärkste Überzeugungskraft für die demokratische Debatte behalten haben dürfte. Es wird ihm aber mit dem Einwand begegnet, die abschreckende Wirkung der Todesstrafe rette Leben, und diese seien gegen die Opfer von Fehlurteilen aufzurechnen. An diesem Punkt der Debatte müssen Erkenntnisse über die beschränkte oder fehlende Präventionswirkung der Todesstrafe einfliessen.

Prägnant fasst Amnesty die Argumentation zusammen:

„Die Todesstrafe lässt sich nicht rechtfertigen, denn sie ist unmenschlich, unwirksam und unwiderrufbar.“

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Aufgrund von Indizien in der öffentlichen Meinungsbildung regten wir schon vor einiger Zeit an, sich auf die Argumente gegen die Todesstrafe zurückzubesinnen und diese zu revitalisieren. Einen Grundstock für ein Argumentarium finden Sie weiter unten. Nun ist es soweit: Ein Komitee steht vor dem Start der Unterschriftensammlung für die Wiedereinführung der Todesstrafe bei Mord mit sexuellem Missbrauch. Wie die NZZ berichtet, hat der Initiativtext die Vorprüfung durch die Bundeskanzlei überstanden.

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Art. 10 Abs. 1 der Bundesverfassung lautet: „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten.“

Die Schweiz hat das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe unterzeichnet. Dazu Mark E. Villiger (Handbuch der EMRK, 2. Auflage, Rz. 687/689): „Alle Mitgliedstaaten des Europarates (darunter auch die osteuropäischen Staaten) haben 1997 die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verlangt, und sie lässt sich schon deswegen nicht mit dem Argument der europäischen Vielfalt rechtfertigen. In der Schweiz ist die Todesstrafe in Friedenszeiten schon seit 1942 abgeschafft (Art. 336 Abs. b StGB); heute ist das Verbot in Art. 10 Abs. 1 BV verankert. (…) Seit dem 1. September 1992 ist in der Schweiz die Todesstrafe auch in Kriegszeiten und bei unittelbar drohende Kriegsgefahr abgeschafft worden.“

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Im Schweizer Versuchslabor des Rechtspopulismus werden Errungenschaften der europäischen Zivilisation zur Disposition gestellt. SVP-Präsident Toni Brunner bietet einem Befürworter der Todesstrafe eine Nationalratskandidatur an.

„Bei schlimmen Verbrechen wie Kindesmissbrauch oder Mord bin ich auch für die Todesstrafe. Mit einer Kuscheljustiz verhindern wir keine Verbrechen“, sagte Rocker Gölä in einem Interview mit „SonntagsBlick; und zuvor: „Unsere Gefängnisse gleichen Hotels. Die Sträflinge haben ein bequemes Bett, drei Mahlzeiten und zig TV-Programme, um sich abzulenken. Das schreckt doch keinen ab.“

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Mit diesen und anderen Äusserungen hat er sich sogleich das Angebot Toni Brunners eingehandelt, Nationalratskandidat der SVP zu werden:

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Im Mitgliederbrief vom 7. März 2010 bemerkten zu einer Rezension, welche für Offenheit gegenüber der Todesstrafe eintrat: „An uns ist es, das Argumentarium gegen die Todesstrafe präsent zu halten, zu aktualisieren, zu vitalisieren, damit es nicht im Asyl „Political Correctness“ landet.“ Daraufhin wurden wir auf die im Jahr 2000 erschienene Dissertation von Beatrice Luginbühl hingewiesen: „Im Kampf gegen die Todesstrafe: Jean-Jacques Comte de Sellon (1782 – 1839)“ (Band 41 der Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte).

Aus dem Inhaltsverzeichnis, 4. Kapitel, Sellons Argumente gegen die Todesstrafe:

1. Erfahrungen mit der Abschaffung der Todesstrafe – ein Blick über die Landesgrenze und in die Vergangenheit.

2. Der Widerspruch zum christlichen Menschenbild.

3.  Die Wirksamkeit der Todesstrafe

4.  Das Fehlurteil

5.  Der Besserungsgedanke und die Gefängnisfrage

Im „Ausblick“ schreibt Beatrice Luginbühl: „Damals wie heute sind die Argumente in der Diskussion für und wider die Todesstrafe die selben geblieben wie zu Sellons Zeiten. Sie haben nichts an ihrer Aktualität eingebüsst. Doch das gewichtigste und wohl eindrücklichste Argument gegen die Todesstrafe ist – nebst der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens – noch immer der mögliche Justizirrtum. Noch so viele Worte könnten diese Wahrheit nicht eindrücklicher belegen, wie das folgende, schlichte und nachdenklich stimmende Foto (…): 28 zum Tod verurteilte und später in Berufungsprozessen freigesprochene Amerikanerinnen und Amerikaner sitzen auf der Bühne eines Hörsaals der Northwestern University in Chicago, wo sie am 14. November 1998 am Kongress der Justizirrtümer teilnahmen.“

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Unter dem Titel „Ökonomische Einsichten statt politischer Korrektheit“ rezensiert Erich Weede, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Bonn, in der NZZ vom 3. März 2010 eine Publikation von Gary S. Becker, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, und Richard A. Posner, unter dem Titel „Uncommon Sense. Economic Insights, from Marriage to Terrorism“. Auszug: „In Kapitel 33 wird wegen des Abschreckungseffekts die Todesstrafe befürwortet. Bei aller Vorläufigkeit der ökonometrischen Befunde sehen beide eine gewisse Unterstützung für den Abschreckungseffekt und fragen: Wird die Todesstrafe für Mörder nicht durch die Vermeidung der Ermordung Unschuldiger gerechtfertigt? Wer mit der gängigen Meinung übereinstimmt, wird sich bei der Lektüre des Buches wohl ärgern. Aber weil gängige Meinungen keine Wahrheits-Garantie enthalten, sollte man sich von einem Nobelpreisträger und einem ausgezeichneten Juristen zum Nachdenken provozieren lassen. (…).“

An uns ist es, das Argumentarium gegen die Todesstrafe präsent zu halten, zu aktualisieren, zu vitalisieren, damit es nicht im Asyl „Political Correctness“ landet.

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Aus der Kolumne des Journalisten und Historikers Gérard Delaloye in der Rubrik „Le passé du présent“ von « Le Matin Dimanche » (28. März 2010) unter dem Titel „Le calvaire du couloir de la mort“:

« (…) Même le plus fanatique des partisans de la peine de mort ne niera pas que le sort subi par Hank Skinner est indigne d’un pays civilisé. Cela fait quinze ans qu’un procès douteux s’est terminé par sa condamnation à la peine capitale. Cela fait quinze ans qu’il hurle son innocence sans être entendu ni bien sûr écouté par la justice texane. Deux fois son exécution a été programmée, les deux fois renvoyée, au dernier moment, comme dans un mauvais polar. Si ce n’est de la torture officiellement et socialement organisée, qu’est-ce donc ? Ce qui frappe, en fin de compte, exception faite de l’espace francophone à cause de la vaillance et de la combativité de sa femme, c’est le peu de résonance qu’ont ses appels à la révision de son procès. Certes la Cour suprême l’a entendu, mais les foules ? Les abolitionnistes américaines n’ont pas, aujourd’hui, le vent en poupe. Rien de comparable avec les débats passionnés suscités dans les années 1950 par Caryl Chessman, qui passa lui douze ans dans le couloir de la mort. (…) Une campagne internationale de soutien et des appels à la clémence signés par des personnalités comme les écrivains Aldous Huxley, Ray Bradbury et Norman Miller, par la veuve du président Roosevelt ou l’évangéliste Billy Graham, alors très à la mode, n’y purent mais. Chessman mourut, mais l’abolitionnisme progressa et gagna und manche importante en 1967 avec l’instauration d’un moratoire sur les exécutions capitales. Qui ne dura hélas que dix petites années. »

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Die Wirtschaftssendung ECO des Schweizer Fernsehens DRS stellte die Zuschauerinnen und Zuschauer am Montag, 25.2.08, im Beitrag „Steueroasen“ implizit vor die Frage, ob die schlechte Menschenrechtssituation in Singapur nicht nur eine missliche Begleiterscheinung der Beziehungen zu diesem  Finanzplatz ist, sondern aktiv als Standortvorzug ausgespielt – und aufgesucht – wird. Es ist sehr empfehlenswert, das Interview mit einem in Singapur tätigen deutschen Wirtschaftsanwalt zu sehen (die Sendung kann bei angesehen oder als Podcast downloaded werden). Mit Blick auf Angestellte, welche bei liechtensteinischen Banken Kundendaten gestohlen und verkauft haben, findet dieser Anwalt, es sei ein Vorteil für Offshore-Anleger, dass die Geheimhaltungsbestimmungen in Singapur durch die Todesstrafe und andere drakonische Strafen gesichert seien. Er schätze dieses System.

Wer weiss mehr über diesen Aspekt der Konkurrenz unter den Finanzplätzen?

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