EGMR-Urteile sollen für die Schweiz nicht mehr verbindlich sein. – Mitgliedschaft im Europarat in Frage gestellt?

“Es könnte sein, dass die Zugehörigkeit der Schweiz zum Europarat in Frage gestellt wird”, sagt SVP-Bundesratskandidat Guy Parmelin in einem Interview der NZZ.

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Gut, dass er dieses Thema anspricht. Irritierend aber, dass er es direkt an die Behauptung anknüpft, die Annahme der “Selbstbestimmungsinitiative” würde nicht zur Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) führen. Was sollte denn die Mitgliedschaft im Europarat in Frage stellen, wenn nicht eine Kündigung oder systematische Verletzung der EMRK durch die Schweiz?

Für ihre Bundesratskandidaten hat die SVP offensichtlich die Sprachregelung bezüglich EMRK geändert. Die bisherige Haltung der Partei ist solid dokumentiert: Sie nimmt die Kündigung der EMRK in Kauf. In einzelnen Statements wurde die Kündigung als wahrscheinlich bezeichnet, so durch Prof. Hans-Ueli Vogt gegenüber der NZZ.

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Das betrachtet die SVP wohl vor den Hearings in den Fraktionen, die einen ihrer Closed-Shop-Kandidaten wählen sollen, als nicht opportun. Nun heisst es: Wir wollen ja nur, dass für die Schweiz die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nicht mehr verbindlich sind.

Die Verbindlichkeit der Urteile des EGMR ist aber der Kern der EMRK. Ein Land, das entscheidet, sie grundsätzlich nicht mehr, oder nur noch nach Gutdünken, von Fall zu Fall, zu befolgen, kann der Konvention nicht mehr angehören. Eine Konvention, die man nicht mehr einhalten will, muss man kündigen.

Und dann – Herr Parmelin hat es vielleicht gespürt – ja, dann ist die Mitgliedschaft der Schweiz im Europarat in Frage gestellt. Denn die Zugehörigkeit zur EMRK ist ein Hauptmerkmal dieser Mitgliedschaft.

Zur Erinnerung: Es war BGB-Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen, der als Aussenminister die Schweiz in den Europarat führte. Hauptargument war, dass die Schweiz an der Integration auf der EWG-Schiene nicht teilnehmen könne. Dieses Argument gilt heute noch. Der Europarat wird in seiner Bedeutung für das EU-Nichtmitglied Schweiz unterschätzt.

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Auch Bundesratskandidat Thomas Aeschi tritt dafür ein, Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für unbeachtlich zu erklären. Auch er gibt vor, die Schweiz brauche dann die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht zu kündigen.

Aus einem Interview der NZZ mit Nationalrat Aeschi:

“Sind Sie bereit, sich von der Selbstbestimmungsinitiative der SVP zu distanzieren? Oder nähmen Sie die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Kauf?

Aeschi: Die Menschenrechte sind nicht das Problem – zu diesen stehe ich zu 100 Prozent. Wenn das Bundesgericht einen Entscheid fällt, der uns Parlamentariern missfällt, können wir die Gesetze korrigieren. Bei der immer mehr ausufernden Auslegung der EMRK gibt es eine solche demokratische Kontrolle aber nicht. Es ist stossend, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verfügt, dass die Schweiz einen kriminellen Ausländer nicht ausschaffen darf, weil sein Kind, um das er sich noch nie gekümmert hat, hier lebt.

Also könnten Sie mit der Kündigung der EMRK leben?

Aeschi: Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Stattdessen könnten wir die Umsetzung von Urteilen des Gerichtshofs in der Schweiz nochmals beurteilen. Alles, was weit vom zwingenden Völkerrecht entfernt wäre, würden wir nicht zwingend umsetzen. Der britische Justizminister hat dieses Vorgehen auch vorgeschlagen.”

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Kommentar:

Die EMRK hat durchaus einen demokratischen Gesetzgeber. Nämlich die fast durchwegs demokratischen  Konvenntionsstaaten, die das Recht haben, die Konvention abzuändern.

Weiterhin wird der Angriff gegen die EMRK vor allem mit dem Ausschaffungsthema geführt. Deshalb ist die Durchsetzungsinitiative die Brechstange für die Selbstbestimmungsinitiative.

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