Vermindert die Absicht des Bundesrates, dass die Schweiz 2022 für ein Mandat im UNO-Sicherheitsrat kandidieren solle, die Handlungsfreiheit des Landes in  der Aussen- und Menschenrechtspolitik? Hierzu äussert sich Philippe Reichen,  Westschweiz-Korrespondent des Tages-Anzeigers, in dessen Ausgabe vom 17.3.2017, S. 13, unter dem Titel “Eine mutlose Streberin” (nicht online).

Auszug:

“Wegen ihrer Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat zeigt sich die Schweiz plötzlich konfliktscheu und meidet Risiken. (…)

Die Kampagne für einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat ist bereits angelaufen, das Aussendepartement im Wahlkampfmodus – obwohl die Entscheidung erst im Juni 2022 stattfindet und die Schweiz den Sitz von 2023 bis 2024 innehätte.

Schon jetzt gilt es offenbar, sich mit den ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats gut zu stellen. Was das heisst, ist in Ansätzen bereits erkennbar.

(…) Derzeit scheint, als würde sich die hiesige Diplomatie für ihre Ambitionen verbiegen, ja sogar, als würde sie beim Schutz der Menschenrechte ihre Ideale beiseiteschieben.

Die «Neue Zürcher Zeitung» deckte kürzlich auf, dass die Schweiz Anfang März den Entwurf einer Intervention im UNO-Menschenrechtsrat überraschend zurückzog. Es ging um Menschenrechtsverletzungen im Königreich Bahrain. Im Entwurf stand, im Inselstaat gebe es «Exekutionen nach Folter, unfaire Prozesse, Beschränkung ziviler und politischer Rechte sowie verbreitet auch Diskriminierung schiitischer Gemeinden». Der Rückzug fiel gemäss NZZ auffällig mit einem Statement des britischen Aussenministeriums zusammen, wonach die Schweizer Erklärung einige der «echten Fortschritte» in Bahrain nicht erkenne.

Natürlich hat die Schweiz in Bahrain und anderen Golfstaaten das wirtschaftliche Interesse, mit Waffengeschäften weiterhin Milliarden zu verdienen. Und klar bemüht sie sich wegen des Brexit um enge Beziehungen zu Grossbritannien. Aber für die Schweiz geht es eben auch darum, Konfliktrisiken zu minieren, um die Wahl in den Sicherheitsrat zu sichern.

Wegen dieser Ambitionen ist sie leicht unter Druck zu setzen. Im Fall Bahrain pflegt man lieber den bilateralen Dialog, als das Königreich wegen Menschenrechtsverletzungen vor der Staatengemeinschaft zu kritisieren.

Mit Grossbritannien kam es zu einem weiteren Zwischenfall. Die Briten portierten letzten Sommer einen Kandidaten für den Posten als UNO-Sonderberichterstatter. Obwohl zunächst Favorit, wurde dieser wegen umstrittener Anwaltsmandate in Afrika übergangen. Am Ende gab der UNO-Menschenrechtsrat dem Schweizer Völkerrechtsexperten Nils Melzer den Vorzug. Erstaunlicherweise schien sich das Aussendepartement in Bern für das einflussreiche UNO-Mandat gar nicht zu interessieren, wohl auch, um die britischen Ambitionen nicht zu untergraben. Bern unterstützte Melzer erst im allerletzten Augenblick. Der Brite war da bereits erledigt. Es wirkte wie eine symbolische Geste – mehr nicht.

Dieses Verhalten setzt sich fort: Nach Melzers Wahl markiert Bern Distanz, betont die Unabhängigkeit des Foltermandats und verweigert jenen finanziellen Rückhalt, den Herkunftsstaaten anderer UNO-Sonderberichterstatter ihren  Experten gewähren. Es ist ein Akt der diplomatischen Vorsicht, letztlich aber auch ein Zeichen der Schwäche. Nils Melzer steht in den kommenden Jahren im weltweiten Rampenlicht. Zur Einhaltung der Menschenrechte muss er sich in innerstaatliche Angelegenheiten einmischen – wohl auch in Bahrain. Das birgt Konfliktpotenzial. Das weiss die Schweiz. Für sie ist  Melzer kaum zu kontrollieren. Man will nichts riskieren.

Auf dem Weg in den Sicherheitsrat ist die Schweiz daran, zur mutlosen Streberin zu mutieren. Ihr Profil als Exponentin für die Einhaltung der Menschenrechte droht zu verwaschen. (…)”

 

 

 

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