Plädoyer für eine verantwortungsvolle, vertrauenswürdige und die Grundrechte respektierende Transplantationsmedizin

Vorbemerkung: Der Verein «Unser Recht» gibt keine Empfehlung für die bevorstehende Abstimmung über das Transplantationsgesetz ab. Er möchte seine Leserinnen und Leser aber umfassend über diese Vorlage informieren und die Vorlage aus rechtsstaatlicher und grundrechtlicher Sicht einordnen. Dieser Gastbeitrag ist verfasst von Prof. Dr. iur. Franziska Sprecher, Mitglied des Referendumskomitees gegen die Gesetzesänderung.


«Angesichts des Mangels an verfügbaren Organen ist es zwar verständlich, wenn man nach neuen Wegen sucht. Dabei darf aber nie das Wohl der lebenden Patientin bzw. des lebenden Patienten den Interessen der Empfängerin oder des Empfängers untergeordnet werden. Alle in dieser Hinsicht zweifelhaften Massnahmen müssen unterbleiben.» So der Bundesrat in der Botschaft zum Transplantationsgesetz vom 12. September 2001 (Botschaft TxG 2001, Seite 143).

Paradigmenwechsel

Die heute für die Entnahme von Organen geltende erweiterte Einwilligungs- resp. Zustimmungsregelung konkretisiert den Grundsatz der aufgeklärten Einwilligung (Informed Consent) im Bereich der Transplantationsmedizin (Art. 8 Transplantationsgesetz). Dieser ist im internationalen und schweizerischen Recht für medizinische Eingriffe in die psychische und physische Integrität eines Menschen verankert und garantiert.[1] Ein medizinischer Eingriff ohne die aufgeklärte Einwilligung der betroffenen Person stellt ein Straftatbestand sowie eine Verletzung der in der Verfassung und im Privatrecht verankerten Persönlichkeitsrechte dar.

Je schwerwiegender und risikoreicher ein Eingriff im medizinischen Bereich ist und je weniger er zum Nutzen der betroffenen Person vorgenommen wird, desto höhere Anforderungen werden an die Aufklärung und die Einwilligung gestellt. So ist die Einwilligung einer Versuchsperson in die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben, welches für die Versuchspersonen keinen direkten Nutzen bringt (drittnützige Forschung), nur nach einer umfassenden Aufklärung und in schriftlicher Form rechtsgültig.

Mit Einführung der Widerspruchsregelung im revidierten Transplantationsgesetz würde der Grundsatz der aufgeklärten Einwilligung für die Entnahme von Organen ins Gegenteil verkehrt: Wer sich Zeit seines Lebens nicht explizit gegen eine Entnahme ausspricht, über dessen Körper könnten andere von Rechts wegen verfügen. Damit würde für einen speziellen Bereich der Medizin und für die Entnahme von Organen – einem rein drittnützigen Eingriff – eine Abkehr vom Informed-Consent-Grundsatz und damit ein radikaler Paradigmenwechsel vollzogen.

Art. 119a BV und Transplantationsgesetzgebung des Bundes

1999 wurde Art. 119a der Bundesverfassung zur Transplantationsmedizin von Volk und Ständen angenommen. Über die Parteigrenzen hinweg und in der Bevölkerung war man sich im Vorfeld dieser Abstimmung und bei der nachfolgenden Ausarbeitung des Transplantationsgesetzes mehrheitlich einig, dass eine Organentnahme nur nach einer freiwilligen, klar geäusserten Einwilligung (der/des Betroffenen, oder – bei dessen/deren Schweigen – der Angehörigen) rechtsgültig erfolgen könne.[2]

Zum dritten Mal innerhalb von nur 20 Jahren wird heute der Grundsatz des Informed Consent resp. die geltende erweiterte Zustimmungsregelung für die Organentnahme in Frage gestellt. Der Anstoss gab die durch Swisstransplant unterstützte Initiative mit dem Titel «Organspende fördern – Leben retten», welche fälschlicherweise auch als «Organspende-Initiative» bezeichnet wird. Darin wurde eine strenge Widerspruchslösung propagiert, mit der Begründung, dadurch würden mehr Organe verfügbar.

Ein Wechsel von der Zustimmungs- zur Widerspruchsregelung stellt Grundwerte des geltenden Verfassungsrechts und des Rechtsstaates in Frage. Über einen solchen Paradigmenwechsel müssen Volk und Stände nach einer breit abgestützten und transparenten Diskussion über sämtliche Aspekte der Organtransplantation entscheiden können. Die Initiative hätte dies ermöglicht; der Gegenvorschlag des Bundesrates und dessen Annahme durch das Parlament wollte dies verhindern[3]: Mit einem zu Unrecht als «Gegenvorschlag» zur Initiative deklarierten Antrag des Bundesrates – die Ergänzung um ein Widerspruchsrecht der Angehörigen wäre bei Annahme der Initiative ohnehin ins Gesetz aufgenommen worden – wollten er die Widerspruchslösung durch eine einfache Gesetzesänderung einführen, ohne die Verfassung zu ändern.[4] Eine Einführung der Widerspruchsregelung nur mit einer Änderung des Transplantationsgesetzes widerspricht dem geltenden Verfassungsrecht: Bundesrat und Parlament missachteten einen zentralen Grundsatz der schweizerischen Demokratie, indem sie das für Verfassungsänderungen verlangte obligatorische Referendum und das dafür nötige Volks- und Ständemehr und die damit verbundene öffentliche Diskussion zu umgehen suchten.

Gegen die Änderung des Transplantationsgesetzes vom 1. Oktober 2021 wurde von einem breit abgestützten Komitee mit 55 357 gültigen Unterschriften das Referendum erhoben. Die Volksabstimmung über das revidierte Transplantationsgesetz findet am 15. Mai 2022 statt.

Widerspruch zur und innerhalb der Verfassung

Wenn das revidierte Transplantationsgesetz angenommen würde, ergäbe sich einerseits ein Widerspruch zwischen dem revidierten Transplantationsgesetz und der Verfassung. Denn Art. 119a BV liegt – trotz seiner neutralen Formulierung – historisch betrachtet die Überzeugung zu Grunde, dass eine Organentnahme nur nach der Zustimmung der betroffenen Person erfolgen darf.[5] Zudem setzt eine «Spende» (Art. 119a Abs. 3 BV) schon dem Wortsinn nach eine bewusste, d.h. aufgeklärte Entscheidung der Person voraus, der Organe entnommen werden. Andererseits bestünde bei Einführung der Widerspruchsregelung innerhalb ein und derselben Verfassungsbestimmung ein offener Widerspruch zwischen der Freiwilligkeit der Organspende, die mit der Menschenwürde und der persönlichen Freiheit auch nach Revision des Transplantationsgesetzes garantiert bliebe, und der neu gesetzlich verankerten Verfügbarkeit Sterbender für die Organentnahme.

Fehlende Verhältnismässigkeit der Widerspruchslösung

Hier nicht einschlägig ist das Argument, dass Organe ja nur (hirn-)toten Menschen entnommen werden, welche gar keine Grundrechtsträger mehr sind. Einerseits wirken Grundrechte – insbesondere die Menschenwürde – über den Tod hinaus und andererseits betrifft die Art und Weise der Regelung der Zustimmung zur Entnahme von Organen in erster Linie lebende Menschen. Darüber hinaus nimmt das Verfahren der Organentnahme mit Abklärungen und den vorbereitenden medizinischen Massnahmen bereits vor Eintritt des Todes des Menschen, dem Organe entnommen werden, seinen Lauf und berührt damit die Integrität der Betroffenen.

Sowohl Menschen, die auf ein Organ warten, wie Menschen, welchen potentiell Organe entnommen werden können, sind Träger von Grundrechten. Ihre Würde, ihre Integrität und ihre Persönlichkeitsrechte verdienen den gleichen Schutz. Dies trifft speziell auf jene Menschen zu, welche im Sterben liegen und ihren Standpunkt nicht mehr selber vertreten können.

Ein Grundrechtseingriff ist rechtlich nur zulässig, wenn er nach Art. 36 BV auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage beruht, durch ein öffentliches Interesse oder zum Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt werden kann und wenn er verhältnismässig ist.

Mit der vom Parlament beschlossenen Revision des Transplantationsgesetzes würde eine gesetzliche Regelung ohne genügende Grundlage im geltenden Verfassungsrecht geschaffen, die nur gelten würde, weil kein Richter die Entscheidungen des eidgenössischen Parlaments aufheben kann (Art. 190 BV).

Grundsätzlich besteht ein berechtigtes öffentliches Interesse an einer ausreichenden Versorgung mit Organen. Es besteht jedoch kein Recht auf ein Organ. Schon gar nicht auf Organe von Menschen, die der Entnahme nicht zugestimmt haben.

Eine Einschränkung von Grundrechten ist dann verhältnismässig, wenn sie geeignet, erforderlich und zumutbar ist.

Geeignetheit

Die Widerspruchsregelung scheitert bereits an der Geeignetheit: Bis heute fehlt ein belastbarer Nachweis, dass mit einem Wechsel von einer Zustimmungs- zu einer – wie auch immer ausgestalteten – Widerspruchsregelung tatsächlich die Zahl der verfügbaren Organe erhöht würde.[6] Vielmehr zeigen aktuelle Studien, dass sich aus den Modellen der Einwilligung zu einer Organentnahme keine Rückschlüsse auf die Zahl der verfügbaren Organe ziehen lassen.[7] In keinem der immer als Beispiele genannten Länder wie Spanien hat allein der Wechsel zu einer Widerspruchsregelung zu höheren Spenderzahlen geführt. Vielmehr beruht die Zahl der verfügbaren Organe auf einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Damit entbehrt das zentrale Argument der Befürworter der Einführung der Widerspruchsregelung einer tragfähigen Grundlage. Behauptungen, Wunschdenken und das Prinzip Hoffnung vermögen jedoch das Erfordernis der Geeignetheit nicht zu ersetzen.

Erforderlichkeit

Ebenso fehlt es der Widerspruchsregelung an der Erforderlichkeit, denn es stehen mildere Massnahmen, d.h. Einwilligungsmodelle zur Organtransplantation zur Verfügung, welche die betroffenen Grundrechte weniger beeinträchtigen und bei welchen ein vergleichbarer Effekt auf die Spenderzahlen zu erwarten ist. So hat die nationale Ethikkommission an der Stelle der aus ihrer Sicht nicht vertretbaren Widerspruchsregelung eine Erklärungsregelung vorgeschlagen (Stellungnahme Nr. 31/2019, 27 f.): «Bei der Erklärungsregelung holt der Staat soweit möglich von jeder Person eine Erklärung zur Organspende ein. Bei diesem Modell wäre das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht oder positive Selbstbestimmungsrecht sehr gut geschützt, im Übrigen sehr viel besser als in der aktuell geltenden erweiterten Zustimmungsregelung, da potenzielle Spenderinnen und Spender ihren Willen mit grösserer Wahrscheinlichkeit äussern würden.»

Eine Erklärungsregelung muss mit einer breiten Information, Beratungsmöglichkeiten und einem vertrauenswürdigen Register, in welchem die Entscheidung jeder Person festgehalten wird, verbunden werden. Die NEK sprach sich (mit einer Gegenstimme) für die Erklärungsregelung aus (Stellungnahme Nr. 31/2019, 29): «Eine Erklärungsregelung trägt dem Selbstbestimmungsrecht am besten Rechnung, da es seltener zu unklaren Fällen kommt, wodurch die Angehörigen entlastet werden. Es ist anzunehmen, dass sich mit der Aufforderung zur Erklärung die grundsätzlich positive Einstellung der Bevölkerung zur Organspende auch in einer höheren Zahl von Einträgen in das Spenderegister niederschlagen würde. Zugleich förderte dieses Modell im Vergleich zu einer Widerspruchsregelung das Vertrauen der Bevölkerung in die Organspende.»

Der Bundesrat und das Parlament haben sich zu keinem Zeitpunkt ernsthaft mit anderen Zustimmungsmodellen ausser der Widerspruchsregelung befasst. Sie machen damit deutlich, dass bei dieser Vorlage die Vorgehensweise «law follows function» resp. das Motto «der Zweck heiligt die Mittel» massgebend war. Besonders deutlich zeigt dies der Kommentar zum Vorschlag der NEK in den Erläuterungen des Bundesrates zum Gegenvorschlag (Seite 14): «Allerdings ist zu beachten, dass die wiederholte Abfrage als Eingriff in die persönliche Freiheit wahrgenommen werden könnte. Weil auch der positive Effekt auf die Spenderate in dieser Variante voraussichtlich geringer sein dürfte als bei einer Einführung der Widerspruchslösung, wurde diese Variante nicht weiterverfolgt.»

In seiner Botschaft zum Transplantationsgesetz von 2001 hielt der Bundesrat hingegen noch fest (Seite 77), dass «das Modell der Widerspruchslösung auf der Annahme [basiert], dass sich viele Personen nur ungern mit Fragen zum eigenen Tod beschäftigen und deshalb nur wenige einen Widerspruch erklären werden.» In der gleichen Botschaft wird dazu Folgendes festgehalten (Seite 143): «Angesichts des Mangels an verfügbaren Organen ist es zwar verständlich, wenn man nach neuen Wegen sucht. Dabei darf aber nie das Wohl der lebenden Patientin bzw. des lebenden Patienten den Interessen der Empfängerin oder des Empfängers untergeordnet werden. Alle in dieser Hinsicht zweifelhaften Massnahmen müssen unterbleiben.»

Nun ist es der Bundesrat selbst – mit der Unterstützung des Parlaments –, der mit seinem Gegenvorschlag zu mehr wie zweifelhaften Massnahmen greift.

Zumutbarkeit

Die fehlende Verhältnismässigkeit der Widerspruchsregelung zeigt sich nicht zuletzt auch an der fehlenden Zumutbarkeit. Der gesetzgeberische Zweck, der Transplantationsmedizin zu mehr Organen zu verhelfen, überwiegt gegenüber dem verfassungsrechtlich verbürgten Recht jedes Menschen, über das eigene Sterben und den Umgang mit dem eigenen Körper vor und nach dem Tod selber zu bestimmen, bei weitem nicht.

Weder der Staat noch Angehörige dürfen zu fremdnützigen Zwecken über den Körper eines sterbenden Menschen verfügen. Es sei denn, dieser hat im Zustand der Urteilfähigkeit, im Wissen um die Folgen und nach eigener Beurteilung zugestimmt und dies dokumentiert oder den Angehörigen mitgeteilt.

Zur Argumentation der Befürworterseite

Es ist irreführend, wenn in Verbindung mit der Widerspruchsregelung noch von «Spende» und «Zustimmung» die Rede ist. Und es ist ein billiges Täuschungsmanöver, wenn zur Rechtfertigung von Seiten der Befürworterinnen und Befürworter betont wird, 80% der Bevölkerung fänden die Organtransplantation gemäss einer von Swisstransplant in Auftrag gegebenen Umfrage ja gut, also seien alle mit der Entnahme von Organen ohne Einwilligung einverstanden. Denn wer würde etwa behaupten, dass alle mit der Konfiskation ihres Erbes und der Verteilung an Bedürftige einverstanden seien, nur weil sie in einer Umfrage sagen, sie fänden die Unterstützung Bedürftiger gut? Auch zeigen vom Bundesamt für Statistik durchgeführte Befragungen ein deutlich realistischeres Bild: Nicht 80% wie bei Umfragen von Swisstransplant, sondern nur 50% der Befragten sind «eher» bereit zu einer Spende. Mit dem Argument einer «mehrheitlichen Zustimmung in einer Umfrage» verkommt der Entscheid über eine Organentnahme beim Einzelnen faktisch zu einer Mehrheitsentscheidung.

Die Befürworterseite berufen sich zudem auf das Bundesgericht. Gemäss diesem hält die Widerspruchsregelung vor der Verfassung stand (BGE 98 Ia 508). Im Entscheid BGE 123 I 112 konkretisierte das Bundesgericht mit Blick auf ein Genfer Gesetz zur Organentnahme, dass die Widerspruchsregelung nur verhältnismässig sei, sofern «allgemein eine entsprechende Informationspolitik betrieben und die Informationspflicht gegenüber den Angehörigen befolgt wird» (Regeste). Eine Widerspruchsregelung ist folglich nur in der Form einer Informationslösung verfassungskonform (Botschaft TxG 2001, 176 f.). Diese Anforderung muss mit Blick auf das hier interessierende Transplantationsgesetz des Bundes unter den heute bestehenden tatsächlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten beurteilt werden. Wenn wir im Zug der Corona-Pandemie eines in aller Deutlichkeit gelernt haben, dann ist es, dass auch die teuerste Informationskampagne einen grossen Teil der Bevölkerung nie erreicht. Folglich ist unter den heutigen Umständen eine verfassungskonforme, als Informationslösung ausgestaltete Widerspruchsregelung eine Illusion.

Die Widerspruchsregelung im vom Bundesrat und Parlament geplanten revidierten Transplantationsgesetz liefe folglich auf eine Ausbeutung derjenigen hinaus, die keine Landessprache sprechen, nicht lesen können, Gelesenes nicht verstehen, andere Sorgen als die Art ihres Sterbens haben, sich nicht mit ihrem Tod und dem Sterben befassen möchten, mit Behörden nichts zu tun haben wollen, sich nicht zu wehren wissen oder nicht fähig sind, das zu tun, was sie für richtig halten. Darüber hinaus ist daran zu erinnern, dass das Vorhandensein von Angehörigen per se keine Garantie für die Wahrung des Willens und der Rechte von Betroffenen ist.

Schlusswort

Unabhängig vom Kontext der Organtransplantation gilt es Opt-Out- resp. Widerspruchsmodelle im Verhältnis zwischen Staat und Bürgerinnen und Bürgern mit grösster Zurückhaltung zur Anwendung zu bringen. Das gilt beispielsweise für Zugriffe des Staates auf Eigentum oder Daten aller Art. Umso mehr gilt es für Zugriffe in einem derart sensiblen und persönlichkeitsnahen Bereich wie der Verfügbarkeit des menschlichen Körpers für fremdnützige Zwecke.

Wie oben aufgezeigt, lässt sich ein Widerspruchsmodell in der Transplantationsmedizin mit den Grundwerten unserer Verfassung und unserer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Tradition nicht vereinbaren. Vielmehr wird mit dem Widerspruchsmodell die Tatsache ausgenutzt, «dass sich viele Personen nur ungern mit Fragen zum eigenen Tod beschäftigen und deshalb nur wenige einen Widerspruch erklären werden», wie es der Bundesrat 2001 in der Botschaft zum Transplantationsgesetz sagte (Seite 77). Die Ablehnung des revidierten Transplantationsgesetzes und damit der Einführung der darin vorgesehenen erweiterten Widerspruchsregelung ist folglich mehr als die Befürwortung einer vertrauenswürdigen, ethisch vertretbaren und die Grundrechte respektierende Transplantationsmedizin. Sie ist zugleich ein «Ja» für die Werte unseres demokratischen, rechtsstaatlichen Verfassungsstaates.

[1] Art. 5 Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin (Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin), SR 0.810.2; Art. 7 und 10 Abs. 2 BV.

[2] Botschaft TxG 2001, 75, 80 f. Vgl. auch parlamentarische Beratung zu Art. 119a BV und zum Transplantationsgesetz. Manche Voten von damals sind auch heute noch erschreckend aktuell: «Im Gegensatz zu Deutschland ist bei uns in der Schweiz die öffentliche Diskussion wenig fortgeschritten und wird von der interessengebundenen Swisstransplant geprägt. Nach wie vor hält diese Organisation kompromisslos am sogenannten Hirntodkonzept fest. Ich wage allerdings zu bezweifeln, dass sie damit der Sache selbst dient. Vielleicht liegt ein Grund für die Abnahme der Spendefreudigkeit im Misstrauen, dass hier bestehende Widersprüche nicht diskutiert, sondern unter den Teppich gekehrt werden. Es besteht nämlich heute ein wohl nicht überwindbarer Dissens um die Bedeutung des Hirntodes.», Gonseth Ruth (G, BL) NR, Wintersession 02.12.1997, 2413.

«Im Vordergrund steht zweifelsohne eine ethische Frage, nämlich die Frage: Hat die Medizin, hat die Wissenschaft, haben Fachleute tatsächlich eine Grenze erkannt, nämlich die Grenze zwischen Leben und Tod? Wir befinden uns auch in dieser Diskussion auf einer Gratwanderung zwischen dem Bereich der Hoffnung für Kranke einerseits und dem Gefahrenbereich einer Ersatzteilmedizin andererseits. Wir befinden uns auf der Gratwanderung zwischen der Dankbarkeit für Spender und Spenderinnen einerseits, den Gefahren einer wachsenden Konsumhaltung von Bevölkerungskreisen gerade auch im Bereich der Medizin andererseits.», Goll Christine (S, ZH) NR, Wintersession 02.12.1997, 2417.

[3] Vgl. dazu auch Katharina Fontana, Kontroverse um Widerspruchslösung: Wer sich nicht wehrt, gilt als Organspender, NZZ 17.09.2021 (https://www.nzz.ch/schweiz/wer-sich-nicht-wehrt-gilt-als-organspender-ld.1645444).

[4] Erläuternder Bericht zum indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zur Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» vom 13. September 2019, insb. 14 ff.

[5] Vgl. u.a. NR Wintersession 02.12.1997, 2412, Votum Dormann Rosmarie (C, LU), Berichterstatterin «Niemand denkt an einen rechtlichen Anspruch des Individuums auf ein Organ; auch wird es keine moralische Verpflichtung geben, ein Organ spenden zu müssen. Eine Organentnahme gegen den Willen des Spenders oder der Spenderin oder gar die gesetzliche Statuierung einer Organspendepflicht kann nicht in Frage kommen. Dieser Aspekt ist an sich bereits im Wort «Spende» enthalten, denn eine unfreiwillige Spende wäre keine Spende mehr. Deshalb hat die Mehrheit der Kommission auf die Erwähnung der Freiwilligkeit, die die Minderheiten IIa und IIb fordern, verzichtet.»

[6] Das musste selbst der Bundesrat in seinem Erläuternden Bericht eingestehen: Erläuternder Bericht zum indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zur Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» vom 13. September 2019, 10.

[7] Christen, Markus / Baumann, Holger / Spitale, Giovanni (2018): Der Einfluss von Zustimmungsmodellen, Spenderegistern und Angehörigenentscheid auf die Organspende: Eine Beurteilung der aktuellen Literatur; Adam Arshad / Benjamin Anderson / Adnan Sharif, Comparison of organ donation and transplantation rates between opt-out and opt-in systems, Kidney International Volume 95, Issue 6, June 2019, Pages 1453-1460.

 

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Zur Autorin: Franziska Sprecher, Prof. Dr. iur., ist Direktorin des Zentrums für Gesundheitsrecht und Management im Gesundheitswesen der Universität Bern. Sie ist Mitglied des Referendumskomitees «NEIN zur Organentnahme ohne Zustimmung».

Bild: Swisstransplant.org.

 

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