Zum ersten Mal will die UNO die menschenrechtlichen Pflichten von Unternehmen in einer Konvention verbindlich regulieren. Das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) hat den zweiten Entwurf der Konvention analysiert. Im Zentrum stehen dabei die Sorgfaltspflicht und die Haftung für Menschenrechtsbeeinträchtigungen, die von Unternehmen begangen wurden.

Link zur SKMR-Analyse:

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Auszug aus der SKMR-Analyse:

“(…) Die geplante neue Konvention stellt im Gebiet Wirtschaft und Menschenrechte einen Paradigmenwechsel dar: Sie wäre das erste rechtlich verbindliche Instrument zur Regulierung von Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch Unternehmen.

So enthalten die weithin anerkannten UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen keine rechtsverbindlichen Pflichten für Unternehmen. Stattdessen setzen sie auf formell nicht verbindliche Erwartungen der Staaten an Unternehmen und deren Eigenverantwortung. (…)

Primäres Ziel des Entwurfs bleibt weiterhin die Verpflichtung von Staaten, in ihren nationalen Rechtssystemen eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht für Unternehmen sowie eine Haftungsgrundlage für Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch Unternehmen einzuführen. Diese Punkte werden im Folgenden genauer erläutert.

Prävention durch umfassende Sorgfaltspflicht

Gemäss dem neuen Entwurf müssen Staaten alle Unternehmen verpflichten, Menschenrechte zu respektieren und Menschenrechtsbeeinträchtigungen zu verhindern. Hierzu sollen die Staaten die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht (“due diligence”) gesetzlich verankern und deren Implementierung überwachen. Die Sorgfaltspflicht soll diverse Massnahmen seitens der Unternehmen umfassen: die Identifizierung und Beobachtung von möglichen Risikofaktoren entlang der ganzen Produktionskette, die Verhinderung von Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch konkrete Gegenmassnahmen sowie auch die regelmässige Information über die Resultate dieses Evaluationsprozesses gegenüber allen betroffenen Personengruppen. Die Sorgfaltspflicht soll grundsätzlich unabhängig von der Grösse und Art eines Unternehmens bestehen. (…)

Unternehmen haften auch bei indirekter Beteiligung an Menschenrechtsbeeinträchtigungen

Die Staaten sollen eine Rechtsgrundlage für die Ahndung von Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch Unternehmen (Art. 6 Abs. 1 Revised Draft) sowie einen Wiedergutmachungsmechanismus für Opfer schaffen. Die Haftung soll folgendermassen ausgestaltet sein: Wie bei der Sorgfaltspflicht wird nicht unterschieden, ob ein Unternehmen selbst oder eine Partnerfirma eine Menschenrechtsbeeinträchtigung begeht. Ein Unternehmen ist demnach immer dann zur Verantwortung zu ziehen, wenn es eine Menschenrechtsbeeinträchtigung nicht verhindert, obwohl es über ausreichende Kontrolle oder Aufsicht über den relevanten Ereignishergang verfügte, respektive eine solche Menschenrechtsbeeinträchtigung vorhersehbar war oder hätte sein sollen (Art. 6 Abs. 6 Revised Draft).

Ein Katalog von Straftaten

Zusätzlich führt der zweite Entwurf einen Katalog von Straftaten ein (Art. 6 Abs. 7 Revised Draft), die ebenfalls zur direkten Haftung von Unternehmen führen sollen. (…)

Geltung für alle Unternehmen, nicht nur transnationale

Eine grundlegende Änderung gegenüber dem ersten Entwurf ist, dass die Konvention nunmehr nicht nur für Unternehmen mit transnationalen Aktivitäten gelten soll, sondern grundsätzlich für alle Unternehmen (Art. 1 Revised Draft).

Ein anderer umstrittener Aspekt wurde fallen gelassen: Die Konvention beansprucht keinen Vorrang der Menschenrechte vor dem Wirtschaftsvölkerrecht mehr. Stattdessen verlangt sie in einer abgeschwächten Formulierung die Kompatibilität zwischen den beiden Rechtsbereichen. (Art. 12 Abs. 6 Revised Draft).

Rahmenabkommen oder direkt anwendbare Regelung?

(…) (Die Frage bleibt) offen, ob ein Rahmenabkommen mit einem Umsetzungsauftrag für das nationale Recht oder eine direkt anwendbare Regelung angestrebt wird. Bislang fehlt ein solcher Grundsatzentscheid, und die Konvention enthält Elemente beider Ansätze. Dies geht zu Lasten einer einheitlichen und klaren Struktur.

Umfassende Haftung als möglicher Stolperstein

Für die Praxis und die weiteren Diskussionen dürfte sich vor allem als schwierig erweisen, dass der Entwurf bei der Haftung nicht zwischen verschiedenen Beteiligungsformen unterscheidet. Gemäss dem aktuellen Text soll die rechtliche Verantwortung für ein Unternehmen entlang seiner Produktionskette respektive in seiner gesamten Einflusssphäre gelten. Sie soll bei eigenen Handlungen wie auch bei vertraglichen Beziehungen (“contractual relationships”) zur Anwendung kommen. Die konkreten Auswirkungen einer solchen Erweiterung sind unklar. Will die Konvention den Anspruch erheben, die Voraussetzungen für die rechtliche Verantwortung von Unternehmen abschliessend zu regeln, ist eine eindeutige und überschaubare Definition der einzelnen Elemente unabdingbar. Die Rechtssicherheit ist nur gewährleistet, wenn Staaten, Unternehmen oder Opfer von Menschenrechtsbeeinträchtigungen die Bestimmungen der Konvention nachvollziehen und deren Inhalt erfassen können.

Der zweite Entwurf wird anlässlich der 5. Session der OEIGWG (Open-ended intergovernmental working group) im Oktober 2019 diskutiert werden. Dann wird sich zeigen, ob die Arbeitsgruppe mit ihrem Vorschlag einem international akzeptablen Kompromiss einen Schritt nähergekommen ist.”

 

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