Von Dr. iur. Dominik Elser, Geschäftsleiter des Vereins Unser Recht

Am 10. Mai 2022 veranstaltete der Verein Unser Recht – Notre Droit – Nostro Diritto – Noss Dretg ein Podiumsgespräch zum Thema «Kontrolle und Kommunikation von Gerichten in der Öffentlichkeit» im Anschluss an seine jährliche Mitgliederversammlung.

Im Sommer 2021 gab ein Urteil des Basler Appellationsgerichts in einem Vergewaltigungsfall viel zu reden. Die Diskussionen drehten sich sowohl um das gefällte Urteil an sich, wie auch die Kommunikation des Gerichts und den öffentlichen Aufschrei darüber, inklusive direkter Rücktrittsforderungen an eine einzelne Richterin. Innerhalb des Vereins lösten diese Ereignisse die Diskussion aus, ob Gerichte ihre Kommunikation verbessern müssen und wenn ja, wie. Und über die grössere Frage, welche öffentliche Kritik und Kontrolle am Justizsystem und einzelnen Richterinnen und Richtern legitim und notwendig ist.

Die Podiumsdiskussion stand aber nicht im Zeichen dieses einzelnen Urteils. Wir nutzten die Chance, mit den vielfältig sachverständigen Gästen diese Themen in einem grösseren Zusammenhang zu erörtern.

Oberrichterin Anastasia Falkner (Obergericht Bern) berichtete aus der Perspektive der zivilrechtlichen Abteilungen, dass das Medieninteresse beim Strafrecht meistens grösser ist und von vielen Richterinnen und Richtern Medienpräsenz im Saal – zu unrecht – als störend empfunden wird. Das liege vielleicht daran, dass man sich anders vorbereite auf eine Urteilsverkündung und weniger informelle, erklärende Zwischenbemerkungen abgebe. Ausserdem fände sie es für das Vertrauen in die Justiz förderlich, wenn die Parteizugehörigkeit zumindest in den unteren Instanzen eine geringere Rolle spielte. Es könne im aktuellen System vorkommen, dass ambitionierte Juristinnen und Juristen ihre politische Positionierung allzu früh auf die Karriereplanung ausrichten.

Gewissermassen aus der Gegenperspektive kritisierte Gerichtsreporterin Brigitte Hürlimann diese Zurückhaltung gegenüber Medien – auch wenn Oberrichterin Falkner diese selber nicht hat und nur in allgemeiner Weise die Einstellung in anderen Gerichten schilderte. Hürlimann regte dazu an, dass Gerichte Ihre Urteilsbegründungen eigentlich immer möglichst zugänglich und verständlich formulieren sollten unabhängig davon, wer zuhört.

Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP/SG) arbeitet neben ihrer politischen Tätigkeit als Anwältin und bezog auch ihre Erfahrung als Fachrichterin an einem Versicherungsgericht in ihre Perspektive mit ein. Als Mitglied der Gerichtskommission der Bundesversammlung verteidigte Vincenz-Stauffacher das Wahlsystem, soweit es das Bundesgericht betrifft. Bei der Wiederwahl von Richterinnen und Richtern stünde nicht die parteigetreue Amtsausübung im Vordergrund, sondern ein ganzheitlicher Blick, der insbesondere das Persönliche und das Fachliche hoch gewichtet. Wenn eine Partei mit der Leistung eines «eigenen» Richters unzufrieden ist, müsse sie ihm auch nicht die Wiederwahl verweigern, sondern könne auch zum Parteiausschluss greifen.

Aus diesen verschiedenen Inputs ergab sich der Konsens, dass in der Öffentlichkeit insgesamt ehrlicher über die Erwartungen an die Justiz gesprochen werden muss.

Martino Mona, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Bern, verlagerte die Diskussion auf eine grundsätzlichere – und kontroverse – Ebene. Aus staatspolitischer Sicht wäre es ein Ideal, wenn die gesamte Bevölkerung im Gerichtssaal die Ausübung der dritten Staatsgewalt mitverfolgen könne. Soweit es in der Öffentlichkeit ein Unverständnis über die Funktionsweise der Justiz oder einzelne Urteile gäbe, so liege dies nicht an der Kommunikation sondern an der Rechtsprechung an sich: Gerade im Strafrecht seien die Strafen viel zu tief. Das würde von Laien nicht verstanden. Massnahmen seien keine geeignete Kompensation.

Diese Wende in der Diskussion gab zu scharfen Rückfragen aus dem Publikum Anlass: Empirische Untersuchungen hätten gezeigt, dass Laien in konkreten Einzelfällen mildere Strafen aussprächen als Gerichte. Und aus der ausländerrechtlichen Praxis wurde berichtet, dass die Strafrahmen dort keineswegs milde seien.

In der Folge entspann sich eine lebhafte und tiefgründige Diskussion über die öffentliche und demokratische Begleitung und Kontrolle der Justiz. Was den möglichen Verbesserungsbedarf bei der Wahl von Richterinnen und Richtern betrifft, wurde die nicht besonders substantiell geführte Diskussion über die abgelehnte Justiz-Initiative bedauert. Oberrichterin Falkner wies auf ein inhaltliche Vorschläge für einen Gegenvorschlag zu dieser Initiative hin, den sie als Vorstandsmitglied der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richter (SVR) mitverantwortet hat.

Im Weiteren wurden Massnahmen erwogen, wie die fachliche Qualität and Medienberichten über Gerichtsverfahren zu steigern  wäre. Abschliessend kam die Rede auf mögliche technische Lösungen, um Gerichtsprozesse einem breiteren Publikum einfacher zugänglich zu machen.

Die Beiträge auf dem Podium und im Publikum zeigten, welche fachliche Kompetenz und welches Interesse an staatspolitischen und rechtsstaatlichen Fragen der Verein Unser Recht zu versammeln vermag.

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Bild: Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Bern (via Twitter)


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