Am Dienstag 7. Juni 2022 hat der Ständerat eingehend über das Sexualstrafrecht gesprochen – auch wenn einzelne Ratsmitglieder ihrer Zeit lieber bei einem Handballspiel verbracht hätten. Zur Debatte stand das Bundesgesetz über eine Revision des Sexualstrafrechts (Entwurf 3 der Geschäftsnummer 18.043 beim Parlament, BBl 2022 688). Wie Ständerat Beat Rieder (Mitte/VS) eingangs der Debatte treffend sagte:

«Im Vorfeld dieser Beratung dreht sich, wie oft üblich, natürlich alles um einen einzelnen Punkt: um die Frage ‹Ja ist Ja› oder ‹Nein ist Nein› in Artikel 189 und Artikel 190 StGB, also um die Zustimmungsvariante oder die Ablehnungsvariante.»

Die Debatte war dann auch heftig und lange und drehte sich vornehmlich um die Frage, ob sexuelle Handlungen eine Nötigung bzw. Vergewaltigung darstellen, wenn sie «gegen den Willen» oder «ohne die Einwilligung» einer Person passieren (so die Anträge der Kommissionsmehrheit und -minderheit zu Art. 189 und 190). Am Ende entschied sich der Rat mit 25 zu 18 Stimmen relativ deutlich für «Nein heisst nein».

Dieser Entscheid wird etwa von Amnesty International in einer Medienmitteilung als «verpasste Gelegenheit» und nicht zeitgemäss eingestuft. Und die Operation Libero fordert jetzt den Nationalrat auf, den Entscheid im September wieder umzustossen. Auch wenn die grosse Kammer dieser Empfehlung folgen sollte, müsste es sich noch weisen, ob der Ständerat seinen Entscheid als Erstrat nochmals umkehren wollte.

Auf der anderen Seite werden die Gesetzesänderungen, auch ohne «Ja heisst ja», als «Quantensprung» im Sexualstrafrecht eingeordnet. Ständerätin Heidi Z’graggen (Mitte/UR) legte im Interview mit SRF diese Haltung ausführlich und nachvollziehbar dar.

Soweit zur politischen Debatte. Doch wie ist der Systemstreit «Nein heisst nein» versus «Ja heisst ja» eigentlich aus strafrechtlicher und insbesondere strafprozessualer Sicht zu beurteilen? Dr. iur. Anna Coninx, Assistenzprofessorin für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Luzern und Vorstandsmitglied von «Unser Recht», hat die praktische Bedeutung der zwei Varianten im Vorfeld der Ständeratsdebatte für die Zeitungstitel der CH Media eingeordnet:

«Diese Frage der Modellwahl dominiert zwar politisch, in der strafrechtlichen Praxis würde sie jedoch keine entscheidende Rolle spielen. Praktisch relevant vor Gericht ist die konkludente Einwilligung. Das ist die nonverbale Kommunikation, das Verhalten der betroffenen Personen. Es geht darum, wie die Sexualpartner das ‹Nein› oder das ‹Ja› kommunizieren. Bei beiden Modellen ist nicht gemeint, dass sie dieses Wort explizit aussprechen müssen. Deshalb überlagern sich die Modelle in der Praxis.»

«Ich halte die Modellwahl aus strafrechtsdogmatischer Sicht nicht für entscheidend. Der Unterschied ist nur politisch bedeutend, weil mit der Zustimmungslösung der Grundgedanke der sexuellen Selbstbestimmung einprägsamer und symbolträchtiger kommuniziert wird.»

«Stellen Sie sich eine Befragungssituation vor. Sie sagt: ‹Ich wollte nicht.› Er sagt: ‹Doch, du wolltest es doch.› Strafrechtlich relevant wäre die fehlende Zustimmung. Das Gericht würde bei beiden Modellen die gleichen Fragen stellen.»

«Die ‹Ja ist Ja›-Lösung bedeutet eben nicht, dass es ein explizites Ja braucht, sondern dass auch eine konkludente Einwilligung genügt. Dann ist aber aus Beweisgründen für eine Bestrafung des Beschuldigten in jedem Fall erforderlich, dass das Opfer in irgendeiner Weise deutlich macht, dass es den Sex nicht will. Insofern ist es nun mal so, dass nur bestraft wird, wer sich Sex nimmt trotz mindestens konkludentem Widerspruch.»

Aufgrund dieser Einschätzungen resümiert Professorin Coninx ähnlich wie Ständerätin Z’graggen: «Ja, die geplante Reform ist ein Quantensprung.» Der Verein «Unser Recht» wird den weiteren Verlauf dieser Debatte aufmerksam verfolgen.

 


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