Am 3.3.2016 lehnte der Nationalrat eine Motion ab, mit der die SVP die Strafbarkeit rassistischer Hetze und Diskriminierung abschaffen wollte.

Bundesrätin Simonetta Sommaruga in der Beratung:

Die Forderung der SVP-Fraktion nach Streichung der Antirassismus-Strafnorm ist ja nicht ganz neu. Sie wurde bereits mehrfach erhoben. Der Bundesrat hat sich stets ablehnend dazu geäussert. Die Bekämpfung der Rassendiskriminierung ist dem Bundesrat ein wichtiges Anliegen. Die Schweiz ist auch durch internationale Verträge verpflichtet, strafrechtliche Normen gegen die Rassendiskriminierung vorzusehen. Deshalb kommt für den Bundesrat eine ersatzlose Streichung der Artikel 261bis StGB und 171c Militärstrafgesetz nicht infrage.
Die SVP-Fraktion begründet ihre Forderung nach ersatzloser Streichung der Antirassismus-Strafnorm unter anderem damit, dass die Norm zu Rechtsunsicherheit und zu Missbräuchen führe und unnötig sei. Zudem ist die SVP-Fraktion der Auffassung, dass die Norm mit diversen Grundprinzipien unserer Rechts- und Verfassungsordnung, namentlich mit der Meinungsäusserungsfreiheit, nur schwer vereinbar sei. 
Auch die Kritik, die Antirassismus-Strafnorm führe zu Rechtsunsicherheit, haben wir jetzt nicht zum ersten Mal gelesen. Die Antirassismus-Strafnorm enthält zwar einige unbestimmte Rechtsbegriffe – das stimmt, diese sind auslegungsbedürftig -, das ist aber bei vielen anderen Gesetzesbestimmungen regelmässig auch der Fall. Die Antirassismus-Strafnorm unterscheidet sich insofern nicht von anderen Gesetzesbestimmungen. Wie bei anderen Gesetzesbestimmungen hat sich die Rechtsprechung zur Antirassismus-Strafnorm in den letzten Jahren gefestigt. Auch die Bedenken der Motionärin betreffend den Konflikt mit der Meinungsäusserungsfreiheit sind kein neues Argument. Gleiches gilt für die Auffassung, der Entscheid des Bundesgerichtes vom Mai 2004 habe zu einer erheblichen Ausweitung des Anwendungsbereiches der Antirassismus-Strafnorm geführt.
Es ist unbestritten, dass die Meinungsäusserungsfreiheit zu denjenigen Menschenrechten gehört, denen eine besondere Vorrangstellung zukommt. Als Grundrecht ist sie für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft von fundamentaler Bedeutung. Die Meinungsäusserungsfreiheit gilt aber nicht absolut. Sie kann im Rahmen der national und international vorgesehenen Voraussetzungen eingeschränkt werden. Artikel 261bis StGB und der entsprechende Artikel im Militärstrafgesetz erfüllen eben diese Voraussetzungen.

Die Antirassismus-Strafnorm stellt diskriminierende Äusserungen nur unter engen Voraussetzungen unter Strafe. Diskriminierende Äusserungen sind nur strafbar, wenn sie in der Öffentlichkeit stattfinden und die Betroffenen in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzen. Denn es muss in einer Demokratie möglich sein, Standpunkte zu vertreten, die einer Mehrheit missfallen. Kritik muss in einer gewissen Breite und auch in überspitzter Form zulässig sein. In die Meinungsbildung und in Äusserungen im privaten Rahmen wird nicht eingegriffen. Deshalb ist auch nicht ersichtlich, inwieweit die Antirassismus-Strafnorm in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger eingreifen soll und Grundlage für einen Polizei- und Überwachungsstaat bilden soll, wie das in der Motion geltend gemacht wird. 
Die Rechtsprechung zeigt, dass die Gerichte in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen, ob dem Schutz vor Rassendiskriminierung oder der Meinungsäusserungsfreiheit und anderen Grundrechten ein höheres Gewicht zukommen soll. Der Meinungsäusserungsfreiheit kommt in dieser Auslegung ein grosses Gewicht zu. Daran ändert auch das Bundesgerichtsurteil vom Mai 2004 nichts, das den Begriff der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit einer Propagandaveranstaltung der rechtsextremen Skinhead-Szene präzisierte. Die bereits mehrfach geäusserte Befürchtung, gestützt auf dieses Urteil würde die Antirassismus-Strafnorm erheblich ausgeweitet und bereits auf Stammtischrunden Anwendung finden, hat sich bis heute nicht bewahrheitet.
All das gilt übrigens auch noch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Perinçek zur Strafbarkeit der Leugnung des Genozids an den Armeniern vom 15. Oktober 2015. Die Grosse Kammer des EGMR hat in diesem Urteil zwar festgestellt, dass die Verurteilung von Herrn Perinçek dessen Meinungsäusserungsfreiheit unverhältnismässig eingeschränkt hat. Das Urteil betrifft aber nur einen Teilbereich der gesamten Antirassismus-Strafnorm. Vor allem aber kritisiert es die Anwendung in einem Einzelfall, wie das beim EGMR eben immer der Fall ist, und nicht die vom Volk gutgeheissene Strafnorm an sich. 
Sie sehen, die Bedenken der Motionärin gegen die Antirassismus-Strafnorm sind unbegründet. Die Bekämpfung der Rassendiskriminierung ist ein wichtiges Anliegen. Hierfür ist die Antirassismus-Strafnorm unabdingbar. Denn anders, als von der Motionärin behauptet, trifft es eben nicht zu, dass diejenigen Delikte, welche aus rassistischen Motiven begangen werden können, schon immer strafrechtlich erfasst waren. Das war regelmässig nur dann der Fall, wenn eine rassendiskriminierende Handlung mit körperlicher Gewalt verbunden war oder die Rassendiskriminierung mittels direkter Bedrohung oder Beleidigung einzelner bestimmter Personen erfolgte. 
Das sind die Gründe, weshalb ich Sie bitte, einmal mehr die Abschaffung der Antirassismus-Strafnorm abzulehnen.

Link zum Amtlichen Bulletin hier.

Print Friendly, PDF & Email