Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga zur EMRK.

Aus einem Interview mit Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga in der NZZ vom 11.12.14:

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gilt auch. Die SVP will nun das Schweizer Recht ein für alle Mal über die EMRK stellen. Braucht es eine solche Klärung der Rangordnung?

Die Menschenrechtskonvention ist ein Vertrag, den die Schweiz unterschrieben hat. Gemeinsam mit den anderen Vertragsstaaten hat man ein Gericht eingesetzt. Dort arbeiten nicht fremde Richter, sondern gemeinsame Richter. Dieses Gericht fällt manchmal halt auch Urteile, die auf Kritik stossen.

Haben Sie sich auch schon über Urteile aus Strassburg geärgert?

Ja.

Bei welchem Urteil zum Beispiel?

Es ist nicht meine Aufgabe als Justizministerin, einzelne Urteile öffentlich zu kritisieren. Aber klar ist, dass auch Richter nicht über der Kritik stehen. Dass man aufgrund punktueller Kritik aber zum Schluss kommen kann, die Menschenrechtskonvention zu kündigen, ist nicht nachvollziehbar.

Warum nicht?

Rufen wir uns in Erinnerung, was in der Menschenrechtskonvention steht: das Folterverbot, die Meinungsäusserungsfreiheit oder die Gewissensfreiheit. Das sind elementare Grundwerte, die wir nicht nur mit der EU teilen, sondern mit allen 46 weiteren europäischen Staaten. Die Konvention schützt den Einzelnen vor der Willkür des Staates. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand aus dieser Wertegemeinschaft ausklinken will.

Die Schweiz kann diese Werte doch auch selber gewährleisten, ohne EMRK.

Und was ist, wenn sich ein Schweizer in einem anderen Staat aufhält? Ist es uns dann egal, ob dort gefoltert wird? Die Idee, dass wir bloss für uns schauen und uns nicht um die Menschenrechte ennet der Grenze kümmern, ist unvorstellbar.

Viele Kritiker argumentieren, nicht die EMRK sei das Problem, sondern nur die Strassburger Richter, die die Konvention immer kreativer weiter auslegen würden.

Dieses Argument ist schlicht falsch. Als die Schweiz 1974 der EMRK beitrat, war man sich bewusst, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickeln würde. Auch gewisse Werte verändern sich. So kann Strassburg doch nicht so tun, als hätten wir noch die gleiche Haltung zur Homosexualität wie vor fünfzig Jahren. Hingegen ist es richtig, dass Strassburg gewisse nationale Wertvorstellungen weiterhin respektiert.

Genau das stellen die Kritiker infrage.

Dann lesen sie nicht, was in Strassburg entschieden wird. Erst kürzlich hat der Gerichtshof entschieden, dass das Burka-Verbot in Frankreich nicht gegen die EMRK verstösst. Er argumentierte, dass er sich zurückhalte, weil in dieser Frage nicht in allen Mitgliedstaaten Konsens herrsche. Damit hat Strassburg bewiesen, dass in solchen Fällen Zurückhaltung angezeigt ist und dass jeder Mitgliedstaat die Menschenrechte in erster Linie selber umsetzen soll.

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