Auszüge aus Voten in der Ständeratsdebatte vom 19.3.2019 über die Motion von Nationalrat Fabio Regazzi (CVP, TI): “Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht”.

Pascale Bruderer Wyss (SP, AG), Kommissionspräsidentin:

“(…) Angesprochen wird mit diesem Vorstoss ein ganz schwieriges, auch ein schwerwiegendes Dilemma. Einerseits stellen verurteilte Terroristen, die nach Verbüssung ihrer Strafe in der Schweiz bleiben, für die Öffentlichkeit eine potenzielle Gefahr dar. Das ist uns bewusst. Andererseits, schickt man Menschen in Länder zurück, von welchen man weiss, dass ihnen dort Folter oder die Todesstrafe droht, macht man sich sozusagen zum Folterknecht und verstösst gegen das Non-Refoulement-Prinzip.

Dieses Prinzip verbietet ja, Sie wissen das, die Auslieferung, die Ausweisung oder die Rückschiebung einer Person in ein anderes Land, falls dort für die betreffende Person ernsthafte Risiken von Folter, unmenschlicher Behandlung oder anderen Formen von Menschenrechtsverletzungen bestehen. Diese Bestimmung ist nicht nur Bestandteil der Genfer Konvention, sondern auch unserer Bundesverfassung. Sie schützt Menschen also vor einer Ausschaffung in ein Land, in welchem ihnen diese Risiken drohen. Das gilt auch für verurteilte Terroristinnen und Terroristen.
Die Kommission ist mehrheitlich der Ansicht, dass die Motion ein schwieriges Thema aufgreift, dass sie aber einen falschen Weg für den Umgang mit diesem Dilemma aufzeigt.

Ich skizziere in aller Kürze die heute geltende Regelung: Wenn ein Ausländer wegen der Unterstützung einer terroristischen Organisation verurteilt wird, so führt dies bereits heute zu einer obligatorischen Landesverweisung. Erfüllt die von der Landesverweisung betroffene Person die Flüchtlingseigenschaft, wird ihr unabhängig davon auch die Gewährung von Asyl verweigert, und es erlischt auch das bereits gewährte Asyl. Auch die Gewährung einer vorläufigen Aufnahme ist bei einer Person mit einer rechtskräftigen Landesverweisung gemäss Artikel 83 Absatz 9 des Ausländer- und Integrationsgesetzes ausgeschlossen.

Wir haben also eine zu Recht harte Linie, aber eine Nulltoleranz ist auch nicht möglich. So ist nämlich vor der Rückführung einer ausländischen Person in ihren Herkunftsstaat in jedem Fall zu prüfen, ob das Rückschiebungsverbot, das ich vorhin erläutert habe, auch eingehalten ist. Daran will die Kommission auch in Zukunft festhalten. (…)”

Thomas Minder (parteilos, SVP-Fraktion):

“(…) Eigentlich ist es an Absurdität nicht zu übertreffen, wenn ein souveräner Staat einen Landesverweis nicht mehr vollziehen kann. Wir wissen alle von der Problematik des zwingenden Völkerrechtes, doch hier greift es erwiesenermassen nicht. Es greift, was den “Nicht-Landesverweis” anbelangt, doch im Sinne der Länderverantwortung, der Souveränität der Länder und des Zusammenlebens der Weltgemeinschaft greift es nicht. Man kann kriminell, hochkriminell, sogar rechtskräftig verurteilt und nach Verbüssung der Strafe noch immer gemeingefährlich sein, doch verlassen muss man das Land trotz Landesverweis nicht. Das ist für jeden Rechtsstaat absurd und total unbefriedigend. Im Gegenteil: Der Staat, und somit der ehrliche Bürger und Steuerzahler, sorgt noch für Bread and Butter und für ein Dach über dem Kopf – und noch schlimmer: Er bezahlt Sozialhilfe.

Letzte Woche wurde ein Fall publik, bei dem jeder Kommentar eigentlich fehl am Platz ist, jener, bei welchem eine mit Landesverweis belegt Person bei uns noch an der Uni studieren wollte. Den grössten Fall eines rechtskräftig verurteilten Dschihadisten und Nichtrückkehrers kennen Sie alle: Es ist Osama M. aus dem Irak, wohnhaft in meinem Kanton. (…)”

Andrea Caroni (FDP, AR):

“Ich habe ein gewisses Verständnis für den Frust unseres Kommissionsmitgliedes und jetzt Einzelantragstellers Kollege Minder, dass er sich darüber ärgert, dass man gewisse Verbrecher nicht in ihr Land zurückbringt. Aber wenn man die Motion betrachtet, dann stellt man fest, dass sie genau ein Ziel hat, nämlich gewisse Straftäter auch dann in ihr Herkunftsland auszuweisen, wenn ihnen dort Folter droht. Was noch nicht gesagt wurde: Es ist relativ schwer zu erklären, warum man das genau für eine gewisse Gruppe von Straftätern tun soll und genau sie neu der verpönten Folter aussetzen soll. Die Motion ist klar: Sie spricht von Dschihadisten, das ist das Feindbild du jour, das sehe ich. Aber die Motion greift für mich unverständlicherweise nur diese Kategorie auf und spricht nicht von anderen Massenmördern. Und dass Massenmord und Terrorismus nicht an eine Religion gebunden sind und sich auch gegen alle Religionen richten können, das sieht nur schon, wer nach Christchurch blickt.

Dass wir unsere Verfassung und das Völkerrecht verletzen würden, das wurde bereits erwähnt. Das Wichtigste ist für mich, dass wir unsere allerhöchsten Grundsätze verraten würden, denn das Folterverbot ist das innere Heiligtum unseres Rechtsstaates. Wir foltern nicht, und wir lassen auch nicht foltern. Natürlich muss man schauen, dass der Folterbegriff nicht komplett ausufert, sodass jede Wohlfühlbeeinträchtigung dann als Folter gilt. Aber für Folter im Sinne von Folter gebe ich mich nicht her, nicht einmal gegenüber den Folterknechten selber – und zwar nicht zum Schutz der Folterknechte, sondern zum Schutz unseres Rechtsstaates und unserer höchsten Werte! Wir sollten diese nicht im blinden Eifer gegen die blinden Eiferer zerstören, damit wir nicht eines Tages werden wie sie.
Ich bitte Sie, die Motion abzulehnen.”

Martin Schmid (FDP, GR):


Die Argumente, die uns auch die Kommissionssprecherin vorgetragen hat, kann ich sehr gut nachvollziehen. Am Schluss, in der Abwägung, stehen wir auch vor der Frage: Sehen wir bei diesem Thema gesetzgeberischen Handlungsbedarf? Die Motion ist zugegebenermassen, wie das Herr Caroni gesagt hat, ein bisschen einseitig formuliert. Es ist eine Schwäche der Motion, dass sie sich auch begrifflich nur auf Dschihadisten bezieht. Das ist viel zu stark eingeengt.

Ich werde am Schluss dieser Abwägung dem Antrag von Herrn Minder zustimmen, damit der Bundesrat handeln muss, aber unter der Voraussetzung – und davon gehe ich aus -, dass er die Schranken der Bundesverfassung bei der Umsetzung der Motion beachten wird. Von der Kommissionssprecherin wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass in Artikel 25 Absatz 3 der Bundesverfassung steht, dass niemand in einen Staat ausgeschafft werden darf, in dem Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht. Die Motion geht aber von unsicheren Staaten aus. Für mich gibt es gegenüber dem heutigen Gesetzesrecht einen gesetzgeberischen Handlungsspielraum, der vonseiten des Bundesrates noch besser ausgenutzt werden kann. Die Spannbreite zwischen der Gesetzgebung und der Verfassungsbestimmung kann überprüft werden, ohne das Non-Refoulement-Prinzip zu brechen.

Aufgrund dieser Erwägungen bin ich eben der Auffassung, dass es ein Fehler von uns wäre, die Motion abzulehnen und das Thema ad acta zu legen. Vielmehr sollten wir der Bundesrätin das Geschäft mit der Auflage übertragen, den von der Verfassung gegebenen Spielraum grösstmöglich zu nutzen, ohne das völkerrechtliche Prinzip zu brechen.
Mit dieser Begründung werde ich mir erlauben, der Motion zuzustimmen. ”

Bundesrätin Karin Keller-Sutter:

“Es wurde jetzt noch einmal von Herrn Ständerat Caroni erwähnt, dass die Motion verlangt, die Praxis bei verurteilten Dschihadisten so anzupassen, dass diese auch dann in ihr jeweiliges Herkunftsland ausgewiesen werden, wenn das Land als unsicher gilt. Konkret soll also dem Artikel 33 Absatz 2 der Flüchtlingskonvention, der die Ausweisung von Flüchtlingen in bestimmten Ausnahmefällen vorsieht, der Artikel 25 Absatz 3 der Bundesverfassung vorgehen. Der Bundesrat teilt das Anliegen der Motion, und ich kann auch vieles von dem, was Sie gesagt haben, Herr Minder, durchaus unterschreiben. Wir sind uns alle einig, dass wir die Bedrohung durch den Terrorismus konsequent bekämpfen und ihr entgegentreten müssen. Die Sicherheit der Schweizer Bevölkerung hat erste Priorität; aber wir müssen uns auch an die Grenzen des Rechtsstaates halten.

Wenn eine ausländische Person wegen der Unterstützung einer terroristischen Organisation oder der Finanzierung des Terrorismus verurteilt wird, wird sie obligatorisch des Landes verwiesen. Die entsprechenden Gesetzesbestimmungen wurden im Rahmen der Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative in das Strafgesetzbuch aufgenommen. (…)

Diese Massnahmen werden auch konsequent umgesetzt, das kann ich Ihnen versichern. Vor der Rückführung einer ausländischen Person in ihren Heimatstaat muss aber in jedem Einzelfall geprüft werden, ob das Rückschiebungsverbot eingehalten ist. Das menschenrechtliche Rückschiebungsverbot ist sowohl in der Bundesverfassung – zitiert wurde Artikel 25 Absatz 3 – als auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgehalten. Im Gegensatz zum flüchtlingsrechtlichen Rückschiebungsverbot schützt das menschenrechtliche Rückschiebungsverbot jede ausländische Person, es muss also jemand nicht eine Flüchtlingseigenschaft haben. Wenn einer Person Folter oder eine andere grausame oder unmenschliche Behandlung oder Bestrafung droht, darf eine Ausweisung nicht vollzogen werden.

In den Medien sind immer wieder die fünf Iraker thematisiert worden, und auch Herr Ständerat Minder hat jetzt einen Fall aus dem Kanton Schaffhausen thematisiert. Sie können davon ausgehen, Herr Minder, dass das bei mir eine hohe Priorität hat, und ich habe die fünf Fälle auch abklären lassen. Wir sind hier nicht in einem Setting, wo der Ursprungsstaat die Personen nicht übernehmen wollte oder würde. Aber es ist klar, und ich habe das auch abklären lassen, dass diesen Personen im Moment die Todesstrafe und je nachdem eben auch Folter droht. Dann ist es im Moment aufgrund dieser Erkenntnisse, die man hat, nicht möglich, diese Personen zurückzuschieben, auch wenn uns das ärgert.

Mich ärgert es auch zu sehen, dass wir Personen in unserem Land haben müssen, die wir als Gefährder einstufen, die wir als gefährlich einstufen. Sie gefährden vielleicht uns, aber wir dürfen sie nicht wegweisen, weil sie auch gefährdet sind. Das ist schon etwas schwierig zu verdauen, aber trotzdem gilt hier das Non-Refoulement-Prinzip.

Bei anderen Staaten ist es anders. Sie haben noch andere Fälle zitiert: Dort ist es einfach so, dass die Staaten eine zwangsweise Rückführung nicht akzeptieren. Diese Personen sind also nicht unbedingt oder zwingend bedroht von Folter oder der Todesstrafe. Sie sprechen den Fall in Zürich an. Dort will der Ursprungsstaat diese Person einfach nicht zurücknehmen, und dann wird es einfach relativ schwierig.

Herr Ständerat Schmid hat gesagt, er würde jetzt dieser Motion zustimmen, denn der Bundesrat müsse einfach die Bundesverfassung einhalten. Aber ich muss Ihnen sagen: Wenn Sie jetzt den Text anschauen, sehen Sie, dass der Text nicht so präzis und scharf formuliert ist, wenn man sagt, der Staat sei unsicher. Es geht nicht darum, dass er unsicher ist: Wir schaffen auch Leute in Staaten zurück, die nicht sicher sind.

Der springende Punkt ist die Frage, ob die Einzelperson jeweils im Einzelfall von Folter und unmenschlicher Behandlung bedroht ist oder nicht. Das ist das Kriterium, es geht nicht um die Frage, ob es in diesem Staat sicher ist oder nicht. Da sind wir einfach im Bereich des zwingenden Völkerrechts, das können wir nicht umgehen.

Was hingegen stattfindet, sind Gespräche zwischen dem EJPD und dem EDA. Gerade in Bezug auf die fünf Iraker hat unlängst eine Besprechung stattgefunden. Sie soll die Möglichkeit eröffnen, wenn diplomatische Zusicherungen vorhanden sind, dass eine Ausweisung erfolgen kann. Konkret: Wenn der Herkunftsstaat garantiert, dass die Person unversehrt bleibt, oder wenn es möglich ist, die Person in einen Drittstaat auszuschaffen, das hat man auch schon versucht, dann werden wir das selbstverständlich machen. Das wird wahrscheinlich nicht bei allen fünf möglich sein. Aber wir sind nahe dran. (…)

Frau Bruderer Wyss, die Kommissionspräsidentin, hat noch angesprochen, dass es Personen mit terroristischem Hintergrund gebe, die mit der neuen bundesrätlichen Vorlage, der sogenannten PMT-Vorlage, erfasst werden sollen. Präzis geht es um das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus. Hier geht es um das präventive Instrumentarium der Polizei. Es hat bereits eine Vernehmlassung stattgefunden. Diese ist abgeschlossen. Die Kantone haben in der Vernehmlassung thematisiert, dass nach der Verbüssung der Haft von Personen, die wegen terroristischer Straftaten verurteilt wurden, bei diesen eine geschützte Unterbringung erfolgen müsste. Wir sind daran, das zu überprüfen.
Ich sage es Ihnen offen: Es ist nicht ganz einfach, hier eine Massnahme zu finden, die mit den Grundrechten vereinbar ist. Wenn jemand eine Haftstrafe verbüsst hat, dann hat er sie verbüsst. Dann ist es relativ schwierig, wieder eine Haft anzuordnen. Wir werden das aber in der Botschaft vertiefen, die Abklärungen laufen. Möglichkeiten bestehen darin, dass man von Anfang an beispielsweise das Instrument der Verwahrung prüft oder dass man eine Unterbringung nach Artikel 59 Strafgesetzbuch, das sind die Massnahmen, prüft oder dass der Haftgrund der Ausführungsgefahr zur Anwendung kommt. (…)

Ich glaube auf der einen Seite, dass das Anliegen, wie es formuliert wird, in weiten Kreisen der Bevölkerung auf grosses Verständnis stösst, weil man nicht versteht, dass man diese Personen nicht wegweisen kann. Auf der anderen Seite möchte ich Sie trotzdem bitten, die Motion abzulehnen, denn wir sind – das möchte ich hier nochmals klar unterstreichen – an die Bundesverfassung und auch an das zwingende Völkerrecht gebunden: Wir können nicht Personen wegweisen, von denen wir gesichert wissen, dass sie von Folter oder unmenschlicher Behandlung bedroht sind. (…)

Zusammenfassend möchte ich Sie bitten, die Motion abzulehnen, auch wenn das Anliegen an und für sich berechtigt ist. Ich habe Ihnen gesagt, wir arbeiten gemeinsam daran, auch mit dem EDA, dort, wo es möglich ist und wo wir diplomatische Garantien erhalten, diese Leute zurückzuführen.”

 

 

 

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