Reformieren, aber weder kündigen noch nachträglich dem Referendum unterstellen.

Reformieren, aber weder kündigen noch nachträglich dem Referendum unterstellen: Dies sind die Grundzüge der Haltung des Bundesrates gegenüber der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Am Mittwoch 19.11.2014 veröffentlichte er seinen Bericht „40 Jahre EMRK-Beitritt der Schweiz: Erfahrungen und Perspektiven“, den er den eidgenössischen Räten in Erfüllung eines Postulats von Ständerat Hans Stöckli (SP, Bern) vom 12. Dezember 2013 erstattet.

Auszug aus der Medienmitteilung:

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bildet einen zentralen Baustein der europäischen Grundwertegemeinschaft. Dieses Bekenntnis zur Konvention schliesst nach Ansicht des Bundesrates nicht aus, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) kritisch zu verfolgen und sich für Reformen stark zu machen. Eine Kündigung der Konvention ist jedoch keine Option, wie er in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht unterstreicht. (…)

Nicht alle Urteile des EGMR wurden in der Schweiz – wie auch in anderen Vertragsstaaten der EMRK – mit Applaus aufgenommen. Allerdings kann sich die Einschätzung im Lauf der Jahre ändern: Ehemals kontroverse Urteile haben heute unbestrittenen rechtsstaatlichen Verbesserungen zum Durchbruch verholfen. Dennoch ist die Kritik an der Rechtsprechung des EGMR ernst zu nehmen, schreibt der Bundesrat. Eine konsequente und kohärente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips erscheint ihm eine wichtige Zukunftsperspektive: Es ist Aufgabe der Vertragsstaaten, die EMRK innerstaatlich anzuwenden; in dem Umfang, wie die Vertragsstaaten ihrer Verpflichtung zur Umsetzung und Anwendung der Konvention nachkommen, kann der EGMR seine Kontrolle zurücknehmen.

Eine Kündigung der EMRK ist für den Bundesrat keine Option. Auch wenn seiner Ansicht nach nicht alle Strassburger Urteile gleichermassen überzeugen können, bleibt die “Sicht von aussen” auch in Zukunft wichtig. Da der Gerichtshof nur in den wenigsten Fällen eine Verletzung der Konvention feststellt und da verschiedene Verurteilungen der Schweiz zu heute allgemein akzeptierten Änderungen in Gesetzgebung und Praxis geführt haben, plädiert der Bundesrat für einen “gelasseneren Umgang mit Strassburg”. Mit einer Kündigung der EMRK würde sich die Schweiz zudem aussenpolitisch isolieren und dem System zum Schutz der Menschenrechte des Europarates erheblich schaden.

In den vergangenen Jahren wurden, unter massgeblicher Mitwirkung der Schweiz, wichtige Reformen des ursprünglichen EMRK-Kontrollsystems realisiert. Die Reformbemühungen müssen weitergehen; sie sollen langfristig das gute Funktionieren des Gerichtshofs und die Qualität seiner Rechtsprechung sichern. (…)

Was die laufenden Diskussionen über die langfristige Reform betrifft, begrüsst der Bundesrat das gewählte Konzept einer offenen Diskussion: Debattiert werden sollen nicht nur Verbesserungen des bestehenden Kontrollsystems, sondern auch neue Vorschläge, die dieses System grundlegend verändern könnten. Oberstes Ziel muss es in jedem Fall bleiben, den Menschenrechtsschutz in Europa zu stärken.“

Zu Ständerat Stöcklis Frage, „ob die EMRK nachträglich einem obligatorischen Referendum unterstellt werden sollte“, schreibt der Bundesrat zunächst, es erscheine „ als fraglich, ob die Durchführung eines nachträglichen Referendums über den Beitritt zur EMRK oder über den Verbleib der Schweiz im Europarat ohne ausdrückliche Grundlage in der Bundesverfassung überhaupt zulässig ist.“ Unabhängig davon verweist er darauf, „dass die materiellen Garantien der EMRK und der Zusatzprotokolle im Rahmen der Nachführung der Bundesverfassung in die heutige Bundesverfassung übernommen worden sind.38 Insofern haben sie zumindest indirekt eine demokratische Legitimation durch Volk und Stände erhalten. Die gegenwärtige Kritik an der EMRK zielt darüber hinaus der Sache nach auch auf den EGMR, mithin auf den Kontrollmechanismus der EMRK. Dessen heutige Ausgestaltung geht im Wesentlichen zurück auf die grundlegende Reform durch die Protokolle Nr. 11 und Nr. 14 (vgl. Ziff. 2.2 hiervor). Zwar wurde die Genehmigung des Protokolls Nr. 11 gemäss der damals gültigen Regelung der Bundesverfassung nicht dem Referendum unterstellt. Demgegenüber unterstand die Genehmigung des Protokolls Nr. 14 aufgrund der geänderten Verfassungslage dem Referendum. Weitere Änderungen, die schwergewichtig den Kontrollmechanismus betreffen, sind Gegenstand von Protokoll Nr. 15, dessen Genehmigung der Bundesrat rasch möglichst zu beantragen beabsichtigt; auch hier sind nach Auffassung des Bundesrates die Voraussetzungen erfüllt für die Unterstellung unter das fakultative Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundes-verfassung. Die EMRK verfügt nach dem Gesagten über eine starke, auch direktdemokratische Legitimation. Insofern erscheint es auch aus heutiger Sicht nicht angezeigt, den Beitritt zur EMRK einem nachträglichen Referendum zu unterstellen.“ (Bericht S. 18)

Vollständige Medienmitteilung:

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