Von Dr. iur. Dominik Elser, Geschäftsleiter des Vereins Unser Recht

Die Sekundarschule Stäfa wollte – wie in früheren Jahren – einen sogennanten «Gender-Tag» durchführen. Was danach passierte, ist mittlerweile bekannt: Nationalrat Andreas Glarner (SVP/AG) verbreitete den Anlass empört auf Twitter und veröffentlichte die Personalien der zuständigen Schulsozialarbeiterin. Nachdem die Schule zahlreiche Drohungen erhielt, sagte sie den Gender-Tag in Absprache mit der Polizei ab. Gemäss einer Mitteilung der Schule: «Leider gibt es auch Hinweise darauf, dass der Tag massiv gestört werden könnte. Zum Schutz von Mitarbeitenden und Jugendlichen sagt die Schule Stäfa den Tag deshalb in Absprache mit der Polizei, der Gemeindeführung und den internen Fachstellen ab.»

Politisch und medial wurden diese Ereignisse nach erwartbarem Muster eingeordnet: Als weiteres Beispiel in der hitzigen «Gender-Debatte», der SRF Club diskutierte über das «Reizthema Gender», die Absage sei «nach Shitstorm» (so blick.ch) erfolgt. Der Gemeindepräsident von Stäfa, Christian Haltner (FDP), versuchte in der Debatte zu vermitteln. Wie die NZZ berichtet und wie Haltner im Club selber sagte, habe die Schule «auch Fehler» gemacht: «Das Transgender- Symbol auf dem Reminder der Schule und der Genderstern in der Anrede seien falsch gewesen, sagt er. Denn beides entspreche nicht den Richtlinien der Gemeinde.» (NZZ vom 27.05.2023). Wie sind die Ereignisse also einzuordnen? Ein Schule hat bei einem Reizthema mit unzutreffender Sprachverwendung übertrieben und gewisse Einzelpersonen haben die (berechtigte) Aufregung darüber zu weit getrieben? Keineswegs! Bei der Beurteilung geht die rechtliche Dimension bisweilen vergessen.

Die Schulveranstaltung wurde auf Anraten der Polizei aus Sicherheitsgründen abgesagt. Anders gewendet waren Drohungen gegen die zuständige Schulsozialarbeiterin und die Schule erfolgreich. Sie haben ihr Ziel erreicht: Die Schule wurde an der Durchführung des Anlasses gehindert. Drohungen sind strafrechtlich relevant, sie sind mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe belegt. In allgemeinen Fällen als Antragsdelikt gemäss Artikel 180 oder – wenn die Drohung wie hier gegen Beamte oder Behörden gerichtet sind – als Offizialdelikt gemäss Artikel 285 Strafgesetzbuch. Vorliegend wurde die Schule an der Durchführung einer Schulveranstaltung gehindert, also bei der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben, womit die Drohung vermutungsweise von Amtes wegen gemäss Art. 285 StGB zu verfolgen wäre. Die dringendste rechtliche Frage ist also: werden die Drohungen verfolgt? Gemäss Aussagen des Gemeindepräsidenten Haltner im SRF Club sei auch mit Tötung gedroht werden.

Eine zweite rechtliche Frage: Was ist die Verantwortung der Polizei? Wurden Sicherheitsmassnahmen geprüft, die eine Durchführung der Veranstaltung ermöglicht hätten? Wurde erwägt, ob eine Absage weitere solche Drohungen nicht gerade befördert?

Zuletzt eine inhaltliche Bemerkung: Die Empörung über diese Schulveranstaltung ist nicht nur im Ton übertrieben, sie ist inhaltlich im Kern falsch. Der Lehrplan 21 setzt Gender-Themen mehrfach auf den Schulstoff: «Die Schülerinnen und Schüler können Geschlechterrollen (z.B. Merkmale, Stereotypen, Verhalten) beschreiben und hinterfragen sowie Vorurteile und Klischees in Alltag und Medien erkennen.» Oder: «Die Schülerinnen und Schüler können Erfahrungen und Erwartungen in Bezug auf Geschlecht und Rollenverhalten in der Gruppe formulieren und respektvoll diskutieren (z.B. Bedürfnisse, Kommunikation, Gleichberechtigung).» Und: «Die Schülerinnen und Schüler können Darstellungen von Männer- und Frauenrollen sowie Sexualität in Medien auf Schönheitsideale und Rollenerwartungen analysieren und Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung kritisch betrachten.» Diese Passagen zeigen: Es geht um offenen Dialog in einer offenen Gesellschaft. Um eine Auseinandersetzung mit Diskriminierung und mit anderen Sichtweisen.

Die erfolgreichen Drohungen in diesem Fall zeigen eine gefährliche Tendenz: Die SVP macht aus eigentlich begrüssenswerten Entwicklungen ein Kulturkampf-Thema und verbündet sich dabei – mutmasslich – mit gewaltbereiten, rechtsextremen Personen, die verhüllte Hinweise aufnehmen und den Dialog in der offenen Gesellschaft zurückdrängen. 

Wie gefährlich diese Debatte angelegt ist, zeigt ein Kommentar von NZZ-Chefredakteur Eric Gujer vom 02.06.2023: Er bezeichnet, was in Stäfa vorgefallen ist, als «Kulturkampf» und ordnet dann ein: «Der für diese Lehrveranstaltung gewählte Begriff «Gendertag» und die Gender-Sternchen in einem Einladungsschreiben sorgten für Fragen, die ein Politiker der rechtsgerichteten Schweizerischen Volkspartei (SVP) dankbar aufgriff.» Als sei die Veranstaltung tatsächlich fragwürdig und die daraufhin inszenierte Empörung politisch verständlich.

 

 

* Bild: European Union 2011 PE-EP/Pietro Naj-Oleari, Lizenz CC BY-NC-ND 2.0


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