Vorbemerkung: Der Verein «Unser Recht» gibt keine Empfehlung für die bevorstehende Abstimmung über die Justiz-Initiative ab. Er möchte seine Leserinnen und Leser aber umfassend über diese Vorlage informieren. Neben diesem Beitrag gegen die Initiative erscheint auch ein Beitrag dafür (Odile Ammann und Markus Schärli: Richterinnen und Richter sollten keine Parteienvertreter mehr sein)

Die Justiz-Initiative fordert eine Entpolitisierung der Wahl der Richterinnen und Richter an unserem obersten Gericht. Sie möchte das erreichen, indem die Vorauswahl an ein Fachgremium übertragen wird, das dann nur nach objektiven Kriterien und nach der fachlichen und persönlichen Eignung der Kandidatinnen und Kandidaten eine Vorauswahl trifft. Die Namen der Ausgewählten kämen quasi in einen Hut, und diejenigen, deren Name gezogen würde, wären dann entsprechend Richterinnen und Richter.

Dass nicht alles hundertprozentig in Ordnung ist, darüber können wir uns, glaube ich, einig sein. Es stellen sich zum Beispiel noch einige Fragen hinsichtlich der Parteienfinanzierung und damit verbundener Dinge. Einfach zu sagen, es sei alles im Lot und es bestehe überhaupt kein Anlass, das System zu überdenken, ist ebenso falsch wie zu sagen, dass wir jetzt alles über den Haufen werfen und die Richterinnen und Richter nach einem irgendwie gearteten Zufallsprinzip wählen müssten. Damit würden wir ins andere Extrem verfallen, und das nur um vom Dünkel der Parteien, der Finanzierung, der Abhängigkeit usw. wegzukommen. Das funktioniert gerade nicht.

Verlust von Glaubwürdigkeit der Justiz droht

Was die Initiative will – eine Entpolitisierung und eine Stärkung der Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter –, würde vermutlich mit einem Verlust an Glaubwürdigkeit und auch mit einem Verlust bei der Vorauswahl der Richterpersönlichkeiten einhergehen. Denn wenn irgendeine Kommission – vom Bundesrat zusammengestellt – nach fachlicher und persönlicher Eignung eine Auswahl unter den Kandidatinnen und Kandidaten treffen soll, stellt sich die Frage, was die fachliche und persönliche Eignung sein soll.

Heute und seit vielen Jahren ziehen wir den Parteienproporz heran zur Beantwortung dieser Frage. Mitglied einer Partei zu sein, ist ja auch ein Commitment zu einer Wertehaltung. Es bedeutet, zu einer sehr konservativen oder zu einer eher progressiven, zu einer grünen oder einer grünliberalen, zu einer Mitte-Politik zu stehen und zu sagen: «Das ist meine Wertehaltung, das vertrete ich, und so möchte ich eigentlich auch, dass dieses Land in Zukunft gestaltet wird.» Das Land gestalten wir mit den Gesetzen und Verordnungen, die vom Parlament verfasst und erlassen werden. Diese sollen nachher die Richterinnen und Richter umsetzen. Sie sollen das, was der Gesetzgeber beschliesst, umsetzen und anwenden, und dort, wo Lücken bestehen, muss die Justiz diese füllen. Darum ist es richtig – und es gibt in meinen Augen keinen Anlass, einen anderen Weg zu gehen –, dass man eine Partei zumindest als Grundlage für die Wertehaltung eines Menschen heranziehen kann. Selbstverständlich braucht es nachher auch die fachlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Amtes.

Ungeeignetes Mittel zur Korrektur von kleinen Systemfehlern

Zugegeben, unser aktuelles System weist einen kleinen Fehler auf. Schauen wir auf unsere Schwesterdemokratie auf der anderen Seite des Atlantiks: die Vereinigten Staaten vom Amerika. Sie hat ein ähnliches System wie wir. Sie hat aber Richterinnen und Richter, die auf Lebenszeit gewählt werden. Diese haben natürlich auch einen Verfassungsauftrag, das heisst, sie haben auch den Auftrag, die Verfassung auszulegen, allenfalls auch gegen das Parlament oder gegen einzelne Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Das haben wir in der Schweiz nicht. Das heisst, das Parlament ist der Verfassungshüter. Auch verfassungswidrige Bundesgesetze gelten und sind vom Bundesgericht anzuwenden.

Darum gibt es in diesem Gefüge, in dieser Maschinerie von Zahnrädern, die ineinandergreifen, wahrscheinlich schon Dinge, die man überdenken muss. Selbstverständlich gehört dazu auch die Mandatsabgabe, mit der sich die Parteien finanzieren und von der die Parteien letztlich auch zu einem grossen Teil leben. Nebenbei: die Fraktionsbeiträge, darüber muss man sich im Klaren sein, reichen nicht, um eine nationale Partei am Leben zu erhalten, mit der ganzen Administration, die heute dazu notwendig ist, und mit einem Parlament, das an jedem Punkt und jedem Komma arbeitet und an jedem Satz herumschraubt, den die Verwaltung bringt. Wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier stehen 32’000 hervorragend ausgebildeten Verwaltungsangestellten gegenüber. Wir müssen hier unsere Gesetze entsprechend unseren Linien machen.

Ich lehne aber den Weg ab, den die Initiative hier vorschlägt. Trotzdem sehe ich Handlungsbedarf. Ein Mittel wäre gewesen, den Bundesbeschluss zur Volksinitiative zurückzuweisen und die Fragen zur Fachkommission näher zu klären.

Ein Fachgremium, das mithilft – warum nicht? Eine automatische Wiederwahl – warum nicht? Wir könnten auch darüber diskutieren, ob ein Abstrafen von Bundesrichtern hier im Saal wirklich gewünscht ist. Es kann, muss aber nicht sein. Und vor allen Dingen, wie gesagt, sollten wir die Mandatsabgaben überdenken. Allein schon dem Anschein der Befangenheit oder Willkür beim Bundesgericht sollten wir entgegentreten: mit Transparenz, mit Klarheit, mit guten Regeln.

Das Parlament hat es abgelehnt, den Bundesbeschluss zur Initiative zurückzuweisen um diese Fragen vorab zu klären. Deshalb empfehle ich ein NEIN zur Initiative, wie sie am 28. November 2021 zur Abstimmung kommt.

 

Dieser Text entspricht einer leicht redigierten Fassung des Votums, das der Autor am 3. März 2021 im Nationalrat bei der Beratung über die Justiz-Initiative gehalten hat.

Zum Autor:

Beat Flach, MLaw/SIA, ist Nationalrat für die Grünliberalen (AG) und Vorstandsmitglied von «Unser Recht».

 

 

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