«All die Verräter am Volkswillen gehören an den Pranger gestellt”, wird Christoph Blocher auf der Frontseite des “Tages-Anzeigers” vom 5.11.16 zitiert: «Die Richter und Politiker, die mit welcher Begründung auch immer den Volkswillen missachten, gehören beim Namen genannt.»

Den “Pranger” kann man sich vielleicht vorstellen wie die Frontseiten, die die “Weltwoche” wie Fahndungsplakate mit Fotos missliebiger Politiker gestaltete.

Offenbar hat Blocher gemerkt, dass es eine Gegenstrategie gegen die Skandalisierung von Gerichtsurteilen gibt: Die Urteilsbegründungen besser bekannt zu machen. Deshalb fordert er nun dazu auf, diese gar nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen.

Urteilsbegründungen legen dar, welche Gesetze und anderen Rechtsnormen ein Gericht anwendet, und weshalb es dabei zu einem bestimmten Urteil kommt. Wenn das Blocher und seiner Bewegung künftig egal ist, nehmen sie Abschied von ihrer Forderung, dass ein Gericht das geltende Recht anzuwenden und nicht selber neues Recht zu schaffen habe. Künftig soll offenbar nur noch das Resultat massgeblich sein, egal, ob es durch klassische Rechtsauslegung oder durch einen auf den mutmasslichen “Volks”-Willen ausgerichteten “Richter als Gesetzgeber” zustande kam.

 
Richterinnen und Richter sollen also künftig beim Namen genannt werden. Damit sie “das Volk” zur Rechenschaft ziehen kann. Auf welche Weise? Das bleibt unserem Vorstellungsvermögen überlassen. “Wir wissen, wo du wohnst”, haben Hooligans  Fussballschiedsrichtern zugeschrien.

 
Eine Folge kann sein, dass Richterinnen und Richter tatsächlich vermehrt an solche Reaktionen denken, bevor sie urteilen. Das fördert eine getreue, konsequente, intelligente Anwendung des geltenden Rechts sicher nicht.

Das wertet auch die Legislative ab. Denn bisher galt, dass es an ihr sei, das Recht zu ändern, wenn die Gerichte es nicht mehr zeitgemäss und sachgerecht anwenden können.

Kommt eine Zeit, da zum Anforderungsprofil an Richterinnen und Richter gehört, ihre Gerichte und Urteile in der Öffentlichkeit zu vertreten? Warum nicht gar “Arena-tauglich”? Helen Keller, die Schweizer Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg, gibt hierfür ein Beispiel – und lebt mit heftigen Anfeindungen. Aber sie mobilisiert für die Sache, für die sie einsteht, und dass Mobilisierung entscheidend sein kann, zeigte die Ablehnung der Durchsetzungsinitiative.

Rollenmodell Helen Keller? Nur dürfen wir nicht erwarten, dass wir genügend Richterinnen und Richter finden, die aus demselben Holz geschnitzt sind.

 

Ulrich Gut.

 

 

 

 

 

 

 

 

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