In der Schweiz wurde eine richterliche Überprüfung von Bundesgesetzen auf Verfassungsmässigkeit immer wieder abgelehnt – abgesehen von den Grundrechten, die auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention, die das Bundesgericht anwenden muss, geschützt sind.

Gegen die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit wurden immer wieder die starken Eingriffe des Supreme Court der USA und des deutschen Bundesverfassungsgerichts in die Politik geltend gemacht. Solche wolle man in der Schweiz nicht.

Der bevorstehende Entscheid des Supreme Court über das Abtreibungsrecht wird diese Warnungen in Erinnerung rufen. Aufmerksamkeit verdienen aber auch die zwei Phasen der Beurteilung der Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank durch das deutsche Bundesverfassungsgericht auf Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz (Link zu Bericht). Auszug aus dem  Leitartikel von Corinna Budras in der “Frankfurter Allgemeinen” vom 19. Mai 2021 unter dem Titel “Die Grenzen des Verfassungsgerichts” (bzw. “Karlsruher Grenzerfahrung” in der FAZ online), nach der Ablehnung der Anträge von Peter Gauweiler und Bernd Lucke:

“Die Karls­ru­her Verfas­sungs­rich­ter kennen ihre Gren­zen. Noch im vergan­ge­nen Jahr haben sie es wage­mu­tig mit deut­schen Verfas­sungs­or­ga­nen und euro­päi­schen Insti­tu­tio­nen gleich­zei­tig aufge­nom­men. Die Pande­mie rollte da gerade an, die EU-Mitglied­staa­ten stan­den unter Schock, die Anle­ger an den Finanz­märk­ten waren ohne­hin nervös. All diese Begleit­um­stän­de scho­ben die deut­schen Rich­ter beisei­te, um einen grund­sätz­li­chen Appell nach Luxem­burg und Brüs­sel, Frank­furt und Berlin zu schi­cken: Schaut genau­er hin, wenn die Euro­päi­sche Zentral­bank (EZB) mit milli­ar­den­schwe­ren Anlei­he­kauf­pro­gram­men in den Markt eingreift. Gerade für eine unab­hän­gi­ge (und stolze) Insti­tu­ti­on wie die EZB, die sich bisher allen­falls spora­disch für ihre folgen­rei­chen Entschei­dun­gen recht­fer­ti­gen musste, war das schwer zu verkraf­ten. (…)

Trotz­dem ist es rich­tig, dass jetzt – ein Jahr später – die Karls­ru­her Rich­ter einen ganz ande­ren Ton anschla­gen: Sie stel­len sich zurück in die Reihe von unter­schied­li­chen Akteu­ren, die eine Demo­kra­tie am Laufen halten. Diese Arbeit kann das Verfas­sungs­ge­richt schlie­ß­lich nicht allein stem­men. Die Rich­ter können nur sehr punk­tu­ell eingrei­fen und haben weder die Kompe­tenz noch die Muße, wirt­schafts­po­li­ti­sche oder gar geld­po­li­ti­sche Entschei­dun­gen zu tref­fen und diese dann dauer­haft zu über­wa­chen. Das müssen schon andere tun.”

 

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