Es geht um die Voraussetzungen für eine vorsorgliche Massnahme gegen periodisch erscheinende Medien.

Im geltenden Artikel 266 der Zivilprozessordnung sind sie so geregelt (Link):

“Gegen periodisch erscheinende Medien darf das Gericht eine vorsorgliche Mass­nahme nur anordnen, wenn:

a. die drohende Rechtsverletzung der gesuchstellenden Partei einen besonders schweren Nachteil verursachen kann;

b. offensichtlich kein Rechtfertigungsgrund vorliegt; und

c. die Massnahme nicht unverhältnismässig erscheint.”

Der Bundesrat beantragt den Räten, in Bst. a “bestehende” einzufügen, sodass die Bestimmungen neu lauten würde:

“Gegen periodisch erscheinende Medien darf das Gericht eine vorsorgliche Mass­nahme nur anordnen, wenn:

a. die bestehende oder drohende Rechtsverletzung der gesuchstellenden Partei einen besonders schweren Nachteil verursachen kann; (…)”

In der Botschaft schreibt der Bundesrat hierzu:

Mit Art.266 Bst.a “wurde die frühere Bestimmung von Artikel 28c Abs.3 a ZGB übernommen und in die ZPO überführt. Dennoch entspricht der Wortlaut von Artikel 266 Buchstabe a ZPO insofern nicht dem früheren Recht, als bestehende Rechtsverletzungen nicht mehr erfasst erscheinen.Dieses gesetzgeberische Versehen soll korrigiert und Buchstabe a dahingehend angepasst werden, dass zukünftig auch bestehende Rechtsverletzungen ausdrücklich erwähnt werden.”

Die Mehrheit der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats beantragt diesem nun, in Bst. a nur noch einen “schweren Nachteil”, nicht mehr einen “besonders schweren Nachteil” als Voraussetzung für eine vorsorgliche Massnahme zu verlangen. (Link zur Fahne.) Die Minderheit, bestehend aus den SP-Ständeräten Christian Levrat und Carlo Sommaruga, unterstützt den Antrag des Bundesrates.

In den Medienmitteilungen der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats wird dieser Mehrheitsantrag nicht erwähnt. Kommissionspräsident Beat Rieder (Mittepartei, Wallis) gab jedoch gegenüber den Tamedia-Organen folgende Begründung ab: «Es gibt immer noch zu viele Presseartikel, die auf Sensationen aus sind, ohne die Privatsphäre der betroffenen Personen zu respektieren.» (Link zu Bericht vom 3.5.2021).

*

Für die Organisation Reporter ohne Grenzen / Reporters sans Frontières (RSF) gefährdet dieser Antrag die Pressefreiheit. Denis Masmejan, Generalsekretär von RSF Schweiz,unter Bezugnahme auf eine Analyse von Gotham City: “Sie bedrohen das Sonderregime, das notwendig ist, um die Pressefreiheit zu garantieren. Die bisherige Regelung aufzugeben, würde all jenen Tür und Tor öffnen, die die Veröffentlichung von völlig zulässigen Informationen verhindern wollen. Auf lange Sicht hätte dies eine erhebliche abschreckende Wirkung auf die Medien, sowohl psychologisch als auch wirtschaftlich.» RSF Schweiz weist darauf hin, dass ohne Informationsfreiheit die Ausübung der Demokratie gefährdet ist. In der Rangliste der Pressefreiheit 2021 belege die Schweiz den zehnten Platz. (Link)

Für Matthias Schwaibold, Anwalt, Medienrechtler und Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen, steht fest, dass die beantragte Änderung ein “Anschlag auf die Medienfreiheit” ist. Auszug aus seinem in der NZZ vom 3.5.21 erschienenen Gastartikel (Link):

“Weil die «superprovisorischen Massnahmen gegen periodische Medien» letztlich ein Akt der Zensur sind, hat der Gesetzgeber dafür besondere Bedingungen aufgestellt und die Hürden gegenüber sonstigen richterlichen Massnahmen höher gelegt. (…)

Es soll also jetzt schon ein «schwerer» Nachteil genügen und nicht erst ein «besonders schwerer», um eine Massnahme zu erlassen. Das ist eine klare Verschlechterung des Zustandes gegenüber dem geltenden Recht und gegenüber der Rechtslage seit 1985. Der qualifizierte Nachteil (eben der «besonders schwere») ist mehr als der «schwere» Nachteil und natürlich erst recht viel mehr als der «Nachteil» überhaupt. (…)

Bisher war es nicht einfach, den «besonders» schweren Nachteil dem Gericht klarzumachen, und deshalb gab es in der Schweiz auch nicht jeden Tag ein Superprovisorium gegen Medien, sondern vielleicht nur eines im Monat.

Wer am Nachteil herumschraubt, schadet den Medien. Es gibt aber keinen Grund, die Meinungsfreiheit zu schwächen und die Zensur zu stärken. Darauf jedoch läuft der Vorschlag hinaus. (…)».

Aus einem von Infosperber verbreiteten Bericht von Samuel Jaberg (Link):

“Bertil Cottier, Professor für Medienrecht an der Universität der italienischen Schweiz, hat in der Schweiz eine Zunahme der gerichtlichen Einschüchterung der Medien beobachtet: «Selbst wenn der Journalist oder die Journalistin am Ende gewinnt, sind all diese Gerichtsverfahren ermüdend und abschreckend. Das ist das, was wir den ‚chilling effect‘ nennen: ein gerichtlicher Druck, der darauf abzielt, Medienschaffende davon abzuhalten, ihre Rolle als Wächter der Gesellschaft zu spielen.»

Der Kampf werde immer ungleicher zwischen reichen Geschäftsleuten, welche die besten Anwälte der Branche engagieren könnten, und den wirtschaftlich geschwächten Medien. «Eine Lokalzeitung oder ein neues unabhängiges Medienunternehmen wie «Gotham City», «Bon pour la Tête» oder «Republik» kann es sich nicht leisten, mehrere tausend Franken Schadenersatz zu zahlen. Aber gerade diese kleinen Medien tragen zu Pluralismus und Vielfalt in der Presse bei», so Cottier.”

 

 

 

 

 

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