Interview mit Dick Marty nach der Vorführung des Films “ZERO IMPUNITY”, der sich gegen Straflosigkeit sexueller Gewalt in Kriegsgebieten richtet. Interviewerin: Chiara Anita Guerzoni, responsabile formazione Amnesty International.
 
Aus den Ausführungen Dick Martys:
 
Die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg und Tokio stellten einen Wendepunkt dar: Krieg wurde nicht mehr als Rechtfertigung schwerer Verbrechen anerkannt. Die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag brachte einen weiteren Schritt: Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid werden nicht erst nach Beendigung des Kriegs unter Strafe gestellt, sondern auch für künftige Konflikte. Aber wichtigste Staaten, die zum Teil tatsächlich in Kriege involviert sind, haben sich diesem Gerichtshof nicht unterstellt: So die USA, China, Russland, Israel. Der Strafgerichtshof hat sich fast nur mit Fällen aus Afrika befasst, was zur Folge hatte, dass ihn afrikanische Staaten als neue Form des Kolonialismus zu betrachten begannen.
 
Der Internationale Strafgerichtshof kann aber keine Prozesse gegen Einzelpersonen führen, denen Vergewaltigung vorgeworfen wird.
 
Für Dick Marty ist der Krieg an sich das grosse Verbrechen. Der Krieg schafft auch die Bedingungen, unter denen die Vergewaltigung als Kriegswaffe eingesetzt wird. Deshalb sollten Verantwortliche für die Auslösung von Kriegen vor Gericht gestellt werden: Leute wie George Bush jr., Dick Cheney, Donald Rumsfeld. Dies aber geschieht bekanntlich nicht. Mehr noch: Man sollte auch Waffenhändler bestrafen können, und solche, die die Finanzierung verbrecherischer Kriege ermöglichen.
 
Marty weist auf die Grenzen des Strafrechts hin: Viele Frauen klagen nicht, weil für sie der Strafprozess einer zweiten Vergewaltigung gleichkommt. Nicht nur müssen sie es nochmals erleben, sondern sie werden von der Verteidigung des Täters unter Verdacht gestellt, unglaubwürdig und mitschuldig zu sein. Speziell in Kriegssituationen können Prozesse geradezu zu Propagandaplattforen der Täterr werden.
 
Opfer von Vergewaltigung entwickelten oft Schuldgefühle, würden vor allem in Ländern mit atavistisch maskulin dominierter Zivilisation sogar diffamiert und ausgeschlossen.
 
Zu fördern sei eine unterstützende Begleitung der Opfer in Prozessen, und abzhustreben seien neuartige Verfahren, die nicht zu einer für das Opfer unerträglich harten Konfrontation zwischen Anklage und Verteidigung führten.
 
Angesichts der Grenzen und der Zweischneidigkeit der strafrechtlichen Möglichkeiten seien Prävention und Solidarität in der Gesellschaft zu stärken, von der Gleichgültigkeit wegzukommen: “Uscire dall’indifferenza!”
 
Hierzu seien Filme wie der hier vorgeführte sehr wertvoll.
 
Speziell im Hinblick auf Kriegssituationen bestehe die Prävention auch in einer professionelleren Ausbildung der Truppen, insbesondere bezüglich der Pflichten gegenüber der Zivilbevölkerung. In dieser Hinsicht stelle man in Kriegsgebieten enorme Unterschiede zwischen gut ausgebildeten, professionelen Truppen und anderen fest. UNO-Friedenstruppen (“Blauhelme”) würden oft durch Länder gestellt, die nicht zu einer professionellen Truppenschulung fähig seien. Dazu komme, dass die UNO selber kein Militärgericht für diese Verbände habe und Strafprozesse durch den Staat durchgeführt werden müsse, der die Truppe stellt.
 

 

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