Das Menschenrechts-Schutzsystem von “Strassburg” ist reformfähig.

Die notwendige juristische Diskussion gewisser Teilen der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist für den politischen Propagandisten eine Fundgrube, aus der er Themen herausgreifen, hochspielen, zu skandalisieren versuchen kann. Es wird nötig, aber schwierig sein, juristische und politische Debatte klar und explizit abzugrenzen. Kritik an der EGMR-Praxis als politisch unkorrekt oder inopportun von der Hand zu weisen, wäre kontraproduktiv. Anderseits dürfte, wer juristische Kritik übt, durch die Zuspitzung der Debatte vermehrt das Bedürfnis verspüren, klar machen, dass und weshalb er oder sie zur Zugehörigkeit der Schweiz zur EMRK steht.

Wichtig für die politische Auseinandersetzung um die EMRK sind die Reformbeschlüsse der Ministerkonferenz von Interlaken 2010.

Sie zeigen:

Erstens, dass die Konventionsstaaten wirklich eine Art Legislative der EMRK sind, und dass deshalb zu Unrecht behauptet wird, der EGMR sei gegenüber andern Gerichten in unerträglicher Weise privilegiert, da er nicht in eine Gewaltenteilung eingebunden sei.

Zweitens, dass die Reformbeschlüsse materiell wichtig sind und es sich lohnt, ihre Umsetzung zu verfolgen und aufzuzeigen.

Drittens, dass die Schweiz, wenn sie Entwicklung und Praxis des EMRK punktuell ändern will, nicht allein stehen muss. Das politische Ziel darf deshalb nicht die Kündigung sein, sondern nötigenfalls die Verständigung mit andern Mitgliedstaaten auf Reformen.

Wenn sich die schweizerische Verfassungs- und Gesetzgebung nun anschicken sollte, explizite Rechtsgrundlagen für die systematische Verletzung der EMRK zu schaffen (Antrag der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats für Umsetzung der Ausschaffungsinitiative unter Verletzung internationaler Verträge; Durchsetzungsinitiative; Landesrecht-Völkerrecht-Initiative), ist in mittel- und langfristiger Perspektive über die Unvereinbarkeit mit der Zugehörigkeit zum Europarat zu diskutieren, in kurz- und mittelfristiger Sicht aber auch konkret die letzte Phase des EGMR-Verfahrens zu beleuchten, nämlich das Vollzugs- und Umsetzungsverfahren vor dem Ministerkomitee.

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