Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) stehen unter politischen Druck. Dieser entsteht und wächst durch einne höchst wirkungsvollen Schulterschluss kämpfender Individuen, gegen deren Willen eine KESB einen Entscheid fällte, mit Medienschaffenden und Politikern, die sich – zum Teil durchaus eigennützig – mit ihnen solidarisieren. Informationen der betreffenden KESB oder Hintergrundinformationen sind dann entweder gar nicht gefragt oder können aus rechtlichen Gründen nicht gegeben werden.

Von einzelnen Kesseltreiben ist der Weg nicht weit, die  Professionalisierung des Kindes- und Erwachsenenschutzes insgesamt in Frage zu stellen, die alte Zeit mit den Laienbehörden, Laienbeiständen und Laienvormündern zu glorifizieren und zurückzufordern.

Damit soll keineswegs bestritten werden, dass die Erfahrungen mit der Arbeitsweise dieser jungen Behörden zu evaluieren und, wo nötig, sorgfältige Steuerungsmassnahmen zu treffen sind, etwa in Bezug auf Information und Mitwirkung der Gemeinden.

NZZ-Redaktorin Dorothee Vögeli ging der scheinbaren kommunikativen Lähmung der KESB und anderer Behörden nach. Sie kommt zum Schluss, dass diese durchaus nicht zu Passivität verdammt sind, und macht Empfehlungen (“Kommunizieren, bevor es brennt”, NZZ 23.3.2016, S. 12).

Leider bietet die NZZ diesen wichtigen Beitrag nicht online an. Deshalb hier ein Auszug, verbunden mit der Empfehlung, sich den ganzen Artikel zu beschaffen:

“Die Fälle «Flaach» und «Carlos» führen vor Augen, wie angreifbar im Sozialbereich tätige Behörden sind und wie schnell sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Sind sie tatsächlich so machtlos? 

Sozialbehörden stehen heute unter medialer Dauerbeobachtung. Denn sie agieren in einem Feld, das die häuslich-private Sphäre betrifft, klassische Schwarz-Weiss-Schemen nährt und Neiddiskussionen befeuert. Die diffusen Ängste in der Bevölkerung lassen sich bestens bewirtschaften. Kindesschutz, Sozialhilfe oder der Umgang mit Flüchtlingen und Straftätern gehören deshalb zu den schlagzeilenträchtigsten Themen. Passieren Fehler, ist deren Langzeitwirkung auch in Zeiten immenser Informationsflut gross – vor allem dann, wenn die involvierten Behörden wegen des Persönlichkeitsschutzes nur mit angezogener Handbremse kommunizieren dürfen. Das ist aber nur im Einzelfall so. Statt ins Klagelied über die bösen Medien einzustimmen, sollten die im Sozialbereich tätigen Behörden und Organisationen dazu übergehen, offensiv und mutig zu informieren.

(…) Zu einer attraktiven Berichterstattung gehören durchaus auch emotionale Themen wie zum Beispiel die kürzliche Flucht einer Gefängnisaufseherin mit einem Sexualstraftäter aus einer Zürcher Haftanstalt. Die Erwartungen sind jedoch nicht immer so leicht zu erfüllen. Gelangen Gutachten, Regierungsbeschlüsse und Kommissionsentscheide oder bloss Teile davon vorzeitig über informelle Kanäle an die Öffentlichkeit, müssen die Medien auch bei dünner Faktenlage schnell reagieren. Ebenso können sie es sich kaum mehr leisten, auf – gerade auch populistische – Themensetzungen der Konkurrenz nicht zu reagieren.

Qualitätszeitungen können aber immerhin versuchen, aufgebauschten Skandalgeschichten mit neuen Fakten eine andere Richtung zu geben. Auch dank fundierter Argumentation lässt sich manchmal der Konkurrenz die Meinungsführerschaft abjagen. In den sozialen Netzwerken haben Gegenargumente allerdings einen schweren Stand. (…) Gleichwohl wäre auch hier das Gegenargument wichtig.

Der heikle Einzelfall

Können die Behörden ihre Sicht wegen des Amtsgeheimnisses nicht darlegen, entsteht ein Informationsvakuum, das Skandalisierungen fördert. Dies zeigt der Fall Flaach besonders deutlich: Eine Frau tötete ihre beiden Kinder, weil ihr die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) die Obhut entzogen hatte. Die zuständige Kesb durfte aber wegen laufender Untersuchungsverfahren und aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht öffentlich Stellung beziehen. Die Kesb-Gegner rissen die Deutungshoheit an sich und forderten die Abschaffung der in ihren Augen inkompetenten Behörden. Derweil appellierte der Zürcher Justizdirektor Martin Graf an die Medien, die externen Untersuchungsberichte abzuwarten. Mehr konnte er tatsächlich nicht tun. Aber die nicht in den konkreten Fall verwickelten Kesb hätten derweil unbedingt in die Informationsoffensive gehen müssen – statt sich vom Entrüstungssturm in die Ecke drängen zu lassen.

Zweifellos kam das schockierende und in jeder Hinsicht einmalige Tötungsdelikt im ungünstigsten Zeitpunkt: Die noch jungen Kesb, die sich mitten im Entwicklungsprozess zur Umsetzung des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts befinden, waren schon vorher grosser Kritik ausgesetzt, nun gerieten sie völlig unter Generalverdacht. Klar war, dass jeder Hauch fehlerhaften Verhaltens das Misstrauen weiter nähren würde. Deshalb ist natürlich verständlich, dass sich auch nicht betroffene Kesb in ängstliches Schweigen hüllten. Das war und ist jedoch ein Fehler. Denn negative Schlagzeilen bergen auch die Chance, neue Aspekte aufs Tapet zu bringen, etwa die Tatsache, dass die professionellen Behörden weniger Placierungen anordnen als die früheren Laienbehörden. Auch Beispiele von Fällen, in denen die Kesb Kinder im Einvernehmen mit überforderten Eltern schützen konnten, wären mit der Einwilligung der Betroffenen oder in anonymisierter Form angezeigt gewesen und sind es immer noch.

In die Informationsoffensive ging Justizdirektorin Jacqueline Fehr, als sich die Frau aus Flaach ein halbes Jahr später in Untersuchungshaft das Leben nahm. Am folgenden Tag berief sie eine Pressekonferenz ein. Da der Suizid ohnehin bekanntgeworden wäre, war es taktisch geschickt, sich als Aufsichtsbehörde sofort den Medien zu stellen. Fehr konnte zwar noch keine Fragen beantworten, aber sie wiederholte in alle Mikrofone und Kameras, dass die Regierung genau abklären und kommunizieren werde, weshalb es zum Suizid gekommen sei und weshalb sich in letzter Zeit die Suizide in Zürcher Gefängnissen häuften.

(…)

In den Fällen Flaach und Carlos sind Fehler passiert. Die Beispiele zeigen aber eine mediale Spirale, gegen die es ein wirksames Mittel gibt: umgehend Stellung zu beziehen, statt den Sturm auszusitzen. Denn auch nicht kommunizieren ist kommunizieren. Das heisst, je weniger die Behörden informieren, umso mehr geben sie Gerüchten, Schuldzuweisungen und Verunglimpfungen Raum. Um die Deutungshoheit nicht aus der Hand zu geben, sollten angeschossene Institutionen und Sozialeinrichtungen den Stier bei den Hörnern packen. Wenn es brennt, sollten sie möglichst rasch und möglichst offen informieren. Tun sie es nicht, tun es andere.

Presse hat Kontrollfunktion

Medienarbeit ist unabhängig von konkreten Fällen wichtig. Zweifellos ist es aber für die im Sozialbereich tätigen Behörden schwierig, das Interesse der Journalistinnen und Journalisten für den Courant normal zu wecken. Denn im Alltag geht es um individuelle Einzelfälle und um schwer kommunizierbare Vorgaben und Richtlinien. Es gibt aber gute und kreative Wege der Öffentlichkeitsarbeit, für die es keine ausgeklügelten Kommunikationskonzepte braucht. Gleichwohl garantieren selbst gute Beziehungen zur journalistischen Zunft keinen Schutz, wenn es zum echten Skandal kommt. Und das ist auch richtig so: Medienschaffende haben eine Kritik- und Kontrollfunktion, die Unabhängigkeit der Presse gilt es zu respektieren und zu unterstützen.”

 

 

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