Im Hinblick auf die Jahreskonferenz „Unser Recht“ am Donnerstag, 25. Juni 2009 zum Thema “Entwicklungen und Verschärfungstendenzen im Strafrecht” machen wir gern auf einen sehr lesenswerten Artikel von Lukas Gschwend und Christoph Good aufmerksam, auf den wir aus unserem Mitgliederkreis hingewiesen wurden: „Rache und Sühne – Wenn Volkes Zorn wächst“

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Die Autoren haben die Meinungsäusserungen in einer Facebook-Gruppe zur Entführung und Ermordung Lucie Trezzinis analysiert und stellen sie in einen strafrechtsgeschichtlichen Zusammenhang. Lukas Gschwend ist Professor für Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie und Strafrecht an der Universität St. Gallen sowie Privatdozent für Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie an der Universität Zürich, Christoph Good Doktorand und wissenschaftlicher Assistent am Institut für Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie und Strafrecht der Universität St. Gallen.

Gschwend und Good bezeichnen es aus rechtshistorischer Betrachtung heraus als erstaunlich, „mit welcher Leichtigkeit die Stimmberechtigten an der Urne und gegenüber den Medien die strafrechtlichen Errungenschaften der Aufklärung bewusst oder unbewusst infrage stellen.“ Die Auswertung der Facebook-­Einträge mache deutlich, dass im Rechtsgefühl, möglicherweise auch im Rechtsbewusstsein vieler gerade auch junger ZeitgenossInnen, die alten Reaktionsmuster weiter wirksam seien. Junge Leute sehnten sich nach einer Rechtsordnung, die vor bald sieben Jahrzehnten abgeschafft wurde. Ein besonders problematisches Spannungsfeld des aufgeklärten Strafrechts zeige sich darin, dass die Menschen nach wie vor in erster Linie die Tat berühre: „Bei den Germanen galt vor über tausend Jahren der Satz ‚Die Tat tötet den Mann‘. Die Schuld und die Hintergründe spielten keine Rolle. Die­se Sicht hält sich in der Bevölkerung bis heute. Richterin und Richter haben gemäss dem Strafgesetzbuch aber nach der Schuld zu fragen.“

Die Autoren sehen auch die seit den siebziger Jahren, insbesondere durch Umsetzung der EMRK, ausgebauten Schutzrechte des Angeschuldigten in Gefahr. Die Erfahrungen in den USA nach dem 11. September 2001 hätten gezeigt, dass die politische Bereitschaft zum Abbau der verfassungsmässig garantierten Verfahrensrechte rasch wachsen könne. Hart erkämpfte zivilisatorische Errungenschaften würden bereitwillig preisgegeben.

„Es gibt keine Hinweise dafür, dass es den Menschen je möglich sein wird, solche (kollektive) Traumata, welche die schweren Verbrechen in der Gesellschaft unter der Vermittlung durch die modernen Medien auslösen, rein ratio­nal zu bewältigen“, schliessen die Autoren. „Angesichts der Beharrlichkeit des archaischen menschli­chen Rechtsgefühls, insbesondere im Fall von Mord, sind nicht nur das rechtsstaatliche Verfahren und das moderne Strafrecht, sondern überhaupt ein Vierteljahrtausend abendländischer Zivilisations- und Kulturalisierungsgewinn latent gefährdet.“

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