Markus Notter, der neue Präsident der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS), geht im GMS Newsletter August/September 2012 auf das Spannungsverhältnis zwischen Individual- und Minderheitenrechten ein.

Auszug:

“(…) Wir setzen uns ein für Leben, Recht, Kultur und Integration dieser Minderheiten. Das tönt recht selbstverständlich. Ich habe aber den Eindruck, dass Minderheitenrechte einen zunehmend schweren Stand in unserer Gesellschaft haben. Ich bin mir nicht sicher, aber mir scheint, dass das Verständnis dafür schleichend erodiert. Das hat etwas mit der überragenden Bedeutung der Individualrechte zu tun. Zu Recht achtet und schützt der liberale Rechtsstaat die individuellen Freiheiten und Rechte. Sie sind der Kern jeder freiheitlichen Ordnung. Der Mensch vermag aber nicht ausserhalb der Gesellschaft zu leben. Freiheitsrechte können sich immer nur innerhalb der Gesellschaft konkretisieren. Die Gesellschaft aber besteht ihrerseits aus unterschiedlichen Gruppen, Minderheiten eben. Sie unterscheiden sich z. B. in Lebensart- und auffassung, Werthaltung, religiöser Überzeugung oder Sprache. Minderheiten können deshalb in Opposition zu den herrschenden Auffassungen stehen.

Es scheint, dass unsere Gesellschaft zunehmend nur noch Individualrechte im Auge hat. Minderheitenrechte werden als störend empfunden. Es geht irgendwie das Verständnis verloren, dass auch gesellschaftliche Gruppen Träger von Rechten sein können. Ich möchte dabei nicht übersehen, dass es auch einen Schutz des Individuums braucht vor unrechtmässigen Ansprüchen der eigenen Minderheit. Wer die Lebensauffassung oder Werthaltung der Gruppe, in die er hineingeboren wurde, nicht teilen kann, muss die Möglichkeit haben, sich davon zu lösen. Es braucht aber auch einen Schutz der Minderheiten, damit individuelle Freiheit in ihnen gelebt werden kann.

Es liegt in der Natur einer Minderheit, dass sie sich von der Mehrheit unterscheidet. Das muss die Mehrheit aushalten. Die individuelle Diversität wird meist leichter akzeptiert als die Diversität von Gruppen. Gruppendiversität wird rasch als Bedrohung empfunden. Die Mehrheit fürchtet um ihre eigene Identität. Je weniger man sich ihrer sicher ist, um so gereizter reagiert man auf Minderheiten. Das ominöse Wort von den Parallelgesellschaften macht die Runde.

Natürlich braucht eine Gesellschaft auch eine übergeordnete Klammer. Die Diskriminierung von Minderheiten und die Missachtung ihrer Rechte und ihrer Kultur können aber nie eine solche Klammer sein. Vielmehr wird der Zusammenhalt geschaffen durch Respekt gegenüber Minderheiten und durch den Dialog zwischen den unterschiedlichen Kulturen, Weltanschauungen und Religionen.”

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