Mit mehr als Zweidrittelsmehr haben die Stimmberechtigten im Kanton St. Gallen ein Verbot der Gesichtsverhüllung angenommen. Die Strafnorm ist an zwei alternative Bedingungen geknüpft. Sie wurden wohl im Bestreben, Mass zu halten, eingefügt. Aber ihre Praktikabilität ist so fraglich, dass  Sicherheitsdirektor Fredy Fässler am 23.9.18 gegenüber Radio SRF sagte, er könne sich kaum vorstellen, dass eine Polizistin oder ein Polizist sich entschliesse, eine Burkaträgerin zu büssen. Dennoch müsse die Regierung jetzt den Vollzug regeln.

Die Anwendung der ersten Bedingung kann man sich vorstellen: Dass die Gesichtsverhüllung die öffentliche Sicherheit gefährdet. Wenn ein Mann sein Gesicht verhüllt, kann dies mit aggressivem Verhalten oder aggressiven Absichten verbunden sein. Auch kann unsicher sein, ob sich hinter einer weiblich wirkenden Verhüllung ein Mann tarnt.

Aber dass eine Polizistin oder ein Polizist an Ort und Stelle entscheiden muss, ob eine Verhüllung den religiösen oder gesellschaftlichen Frieden stört, ist eine äusserst problematische Delegation an “die Front” – und wohl auch an die Gerichte, bei denen solche Bussen angefochten werden können. Will man Burkaträgerinnen nur büssen, wenn sie eindeutige Handlungen oder Zeichen der Aggression gegen Andersgläubige, gegen Demokratie, Rechtsstaat oder eine freiheitliche Lebensweise setzen? Oder wenn ihre männliche Begleitung dies tut? Viele, die ein Verhüllungsverbot fordern, sind der Meinung, die Voll- oder Gesichtsverschleierung sei per se ein herausfordernder Akt gegen unsere Werte und unsere Rechtsordnung. Man mag das Verbot an sich für verfehlt halten, aber wenn schon, dann sollte der Gesetzgeber die Verantwortung dafür übernehmen, dass er die Voll- oder Gesichtsverschleierung als Störung des religiösen und gesellschaftlichen Friedens betrachtet.

Man sollte vollzugsbewusst legiferieren. Aber das bleibt frommer Wunsch, wenn Mehrheiten zu Symbolpolitik entschlossen sind.

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