Mit Dreiviertelsmehr lehnte das Schweizer Volk im Juni 2012 die Staatsvertragsinitiative der AUNS ab (Link zum NZZ-Bericht). Trotzdem ist jetzt ein Verfahren zur Teilrevision der Bundesverfassung angelaufen, das das obligatorische Staatsvertragsreferendum erweitern soll. Nach dem Willen des Motionärs, Ständerat Andrea Caroni, sollen ihm völkerrechtliche Verträge mit verfassungsrechtlichem Charakter unterstellt werden. Der Bundesrat ist dieser Forderung in einer Botschaft nachgekommen.

Alt-Bundesrichter Niccolò Raselli setzt sich in einem in der Zeitschrift “Plädoyer” (2/2021, S. 58 ff.) erschienenen Artikel kritisch mit diesem Vorhaben auseinander. Sinnvoll sei, dass in einem ersten Schritt die Verfassung teilrevidiert und bei einem positiven Ausgang dieser Abstimmung in einem nächsten Schritt der Staatsvertrag ratifiziert werde: “Dieses Prozedere entspricht der althergebrachten Meinung, dass die Schweiz wichtige internationale Verpflichtungen nur eingehen will, wenn das schweizerische Recht damit bereits in Einklang steht. Den Vertrag in der Folge der bereits teilrevidierten Verfassung auch noch dem obligatorischen Referendum zu unterstellen, wäre sinnlos. Insoweit erweist sich die Verfassungsnovelle im vielleicht wichtigsten Anwendungsfall als überflüssig.”

Raselli weist auf das Referendum “sui generis” hin: “Dabei wird in methodischer Hinsicht nicht nach schematischen Kriterien entschieden. Vielmehr wird der Fokus auf die den Einzelfall charakterisierenden Elemente gelegt. Es handelt sich um kasuistisches, mithin unkodifiziertes Verfassungsrecht, das auf der Bindung an Präjudizien beruht. Bekanntlich kam dieses Referendum bislang in drei Fällen zur Anwendung: Ein erstes Mal 1920 anlässlich des Beitritts der Schweiz zum Völkerbund, ein zweites Mal 1972 beim Abschluss des Freihandelsabkommens mit der EWG und ein drittes Mal, als es 1992 um die Frage des Beitritts der Schweiz zum EWR ging.”

Der Bundesrat will nun dieses ungeschriebene obligatorische Referendum “sui generis” in die Verfassung aufnehmen, aber mit dem Kriterium des Verfassungsrangs. Raselli empfiehlt, bei politischen Kriterien zu bleiben und diese nicht durch das Kriterium des Verfassungsrangs zu ersetzen: “Da Entscheidungen des Parlaments ohnehin politisch geprägt sind, wäre es nicht nur sachgerecht, sondern auch redlich, es bei staatspolitischen Kriterien bewenden zu lassen, wie sie nach der geltenden Praxis zum obligatorischen Referendum ‘sui generis’ zum Zuge kommen”.

Abschliessend weist Raselli auf einen Vorschlag des Basler Staatsrechtsprofessors Markus Schefer hin, wonach dem Art. 140 BV eine neue lit. b bis beizufügen wäre: “Volk und Ständen werden zur Abstimmung unterbreitet: völkerrechtliche Verträge von ausserordentlicher Tragweite, durch Beschluss der Mehrheit der Mitglieder jedes der beiden Räte.”

Link zum Artikel (hinter Paywall).

 

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