Das Institutionelle Rahmenabkommen (InstA) brächte der Schweiz einen starken Schutz vor unverhältnismässigen Ausgleichsmassnahmen der EU, wenn sie Weiterentwicklungen von EU-Recht nicht übernehmen will. Thomas Cottier legt dar, dass dieser Vorteil in der Diskussion des InstA stark unterschätzt, und anderseits die Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) überschätzt wird. Die Ablehnung des vorliegenden Streitbeilegungsverfahrens sei aber “gleichbedeutend mit der Ablehnung des Rahmenvertrages auf lange Zeit. Damit verbunden sind die schrittweise Erosion der bilateralen Verträge und die Verschlechterung von Marktzutrittsrechten in der EU für Unternehmungen des Werk-, Finanz- und Forschungsplatzes Schweiz”.

Hervorgehoben sei, dass für die Beurteilung der Verhältnismässigkeit einer Ausgleichsmassnahme das Schiedsgericht zuständig wäre, ohne Mitwirkung des EuGH.

Link zum Artikel von Thomas Cottier: “Der Rechtsschutz im Rahmenabkommen Schweiz-EU. Kernstück des Abkommens und Instrument schrittweiser Rechtsentwicklung.”

Auszüge:

“Das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union in seiner publi-zierten Fassung vom Dezember 2018 verstärkt Rechtsicherheit und Gleichbehandlung (Art. 1 Abs. 1) und den Rechtsschutz wesentlich. Es stellt die Streitbeilegung in Kapitel 3 und Annex 3 in seinen Mittelpunkt, deren Bestimmungen den meisten Platz einnehmen. Neu können An-stände zwischen den Vertragsparteien durch eine Partei einem Schiedsgericht vorlegt werden (Art. 10 Abs. 3 und Protokoll 3). Neu ist vor allem auch, dass keine Wirtschaftssanktionen seitens der EU oder der Schweiz ohne vorgängige gerichtliche Beurteilung ergriffen werden dürfen (Art. 10 Abs. 6); ergriffene Massnahmen unterliegen erneut einer gerichtlichen Prü-fung ihrer Verhältnismässigkeit (Art. 10 Abs. 7). Das Abkommen übernimmt hier die Grundsätze des WTO Rechts, wonach einseitige Massnahmen ohne vorherige Anrufung der Streitbeilegung grundsätzlich und mit wenigen Ausnahmen im Bereich der Schutzmassnah-men ausgeschlossen sind.16 Das ist vor allem von Interesse für die Schweiz, die als politisch schwächerer und vom Marktzugang abhängiger Partner stärker auf Recht und Rechtsicherheit angewiesen ist als die EU. Sie gewinnt mit dem Rahmenabkommen an Statur und Einfluss. Indirekt wird wie gesagt ihre Verhandlungsmacht im gemischten Ausschuss gestärkt. Allein die Möglichkeit und einer Klage verstärkt die Chance einer einvernehmlichen politischen Lö-sung der Streitfrage.” (S. 5)

“Der Schutz vor unverhältnismässigen Sanktionen, wie sie heute möglich sind, wird damit we-sentlich zugunsten der Schweiz verstärkt. Allein schon aus diesem Grunde sind das Schieds-gericht und damit der Rahmenvertrag für die Schweiz von grossem Interesse. Denn diese Funktion stellt die im Vertrag zugestandene de facto Opt-Out Möglichkeit der Schweiz von EU rechtlichen Verpflichtungen sicher. Das Rahmenabkommen sieht eine dynamische, aber keine automatische Rechtsübernahme des einschlägigen EU Rechts vor.33 Die Schweiz kann Übernahmen punktuell ablehnen, muss dabei aber Ausgleichsmassnahmen in Kauf nehmen. Gemäss Art. 10 Abs. 7 unterliegen Ausgleichsmassnahmen nach einer beurteilten Rechtsverletzung dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Können sich die Parteien nicht einigen, un-terliegt deren Beurteilung ausschliesslich dem Schiedsgericht. Der EuGH ist hier nicht invol-viert. Die Entscheidung unterliegt nicht der Vorlagepflicht, da es sich um eine völkerrechtli-che Frage handelt. Praktisch bedeutet dass die Schweiz bei einer bewussten Abweichung von EU rechtlichen Verpflichtungen, namentlich durch Entscheidungen des Gesetzgebers oder von Volk und Ständen, sich darauf verlassen kann, dass Ausgleichsmassnahmen gegenüber einer auch andauernden Vertragsverletzung im Rahmen bleiben und so in Kauf genommen werden können, solange die EU auf eine Kündigung des Vertragswerkes in Abwägung aller Interessen verzichtet.” (S. 13)

“Der Bundesrat hat die Paraphierung und Unterzeichnung des Abkommens von der Klärung von drei Bereichen abhängig gemacht, die in der politischen Konsultation von Parteien und Verbänden und Kantonen moniert wurden. Die Sicherstellung des Lohnschutzes im bisheri-gen Rahmen, den Ausschluss der Auswirkungen der sog. Unionsbürgerrichtlinie und die Ge-währleistung kantonaler Beihilfen. Die Sicherstellung dieser Forderungen wird auf dem Ver-handlungswege gesucht. Sie betreffen Kernanliegen der Union und es ist offensichtlich, dass die Forderungen der Schweiz auf Immunisierung nicht tel quel umgesetzt werden können. Nicht bedacht wird bei diesem Vorgehen die Möglichkeit, diese Probleme auf dem Wege der Verhandlung nach Abschluss des Rahmenvertrages und allenfalls mit Rekurs auf das Streit-beilegungsverfahren anzugehen.” (S. 13)

 

 

 

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