Im Juni hat der Ständerat beschlossen, die Hürde für vorsorgliche Massnahmen gegen Medien herabzusetzen. Nachfolgend wird der Versuch unternommen, die Gründe und die Argumente für diese Änderung zu rekonstruieren.

Die Rechtskommission des Ständerates hat im Rahmen der laufenden Revision der Zivilprozessordnung (Geschäftsnummer 20.026) vorgeschlagen, in Art. 266 ZPO das Wort «besonders» zu streichen. Der Ständerat hat dieser Streichung am 16. Juni 2021 zugestimmt.

Art. 266 ZPO lautet bisher wie folgt:

«Gegen periodisch erscheinende Medien darf das Gericht eine vorsorgliche Mass­nahme nur anordnen, wenn:

a. die drohende Rechtsverletzung der gesuchstellenden Partei einen besonders schweren Nachteil verursachen kann;
b. offensichtlich kein Rechtfertigungsgrund vorliegt; und
c. die Massnahme nicht unverhältnismässig erscheint.»

Die Streichung des Wortes «besonders» würde es einfacher machen, unliebsame Medienberichte gerichtlich stoppen zu lassen. Es müsste kein besonders schwerer Nachteil, sondern nur noch ein schwerer Nachteil drohen.

Im Vorfeld der Abstimmung im Ständerat wurde in verschiedenen Medien (NZZ, Tagesanzeiger, Beobachter, Swissinfo) vor dieser Streichung gewarnt. Weil die Medien von der Änderung direkt betroffen wären, erscheint es naheliegend, dass sie sich gegen die Änderung aussprechen.

Warum wurde die Änderung vorgeschlagen?

Unklar ist, warum die Änderung überhaupt vorgeschlagen wurde. Im Entwurf des Bundesrates war sie nicht enthalten, sie wurde erst in der vorberatenden Kommission eingebracht. Die Diskussion in der Kommission hat offenbar nur wenige Minuten gedauert, ganz im Gegenteil zur Diskussion im Plenum, die über eine Stunde beansprucht hat. In dieser Debatte wurden jedoch keine konkreten Fälle genannt, in denen das Verhindern eines verhinderungswürdigen Medienberichts gescheitert wäre. Bundesrätin Keller-Sutter hat darauf hingewiesen, dass die Anpassung nach Ansicht des Bundesrates nicht notwendig und dass sie auch in der Vernehmlassung nicht gefordert worden sei.

Was wären die Konsequenzen?

Es ist kaum voraussehbar, welche Folgen die Streichung tatsächlich hätte. Klar ist aber, dass der Gesetzgeber die Hürden für das Verhindern der Publikation von Medienberichten herabsenken will, wenn er diese Streichung vornimmt. Ein Gericht, das nach dieser Änderung zu beurteilen hat, ob in einem konkreten Fall ein Zeitungsartikel verboten werden soll, wüsste nur, dass der drohende Nachteil nicht gleich schwer wiegen muss als in allen bisher – auf Grundlage des noch nicht revidierten Artikels – entschiedenen Fällen.

Debatte im Parlament

Beim Nachlesen der parlamentarischen Debatte fällt auf, dass alle BefürworterInnen der Änderung ein generelles Unbehagen gegenüber Medien (bis hin zu einer detaillierten Auflistung der Umsatzzahlen grosser Medienkonzerne) ausgedrückt haben, ohne aber konkrete Fälle zu nennen. Es wurde gesagt, es gehe um den Schutz des «normalen Bürgers» (Ständerat Rieder, Mitte/VS) bzw. des «kleinen Manns oder der kleinen Frau von der Strasse» (Ständerat Jositsch, SP/ZH). Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Personen ohnehin selten Gegenstand von Medienberichten sind und sich überdies oft auch keine Prozesse leisten können. Sodann wurde wiederholt auf die überschaubaren Auswirkungen der Streichung verwiesen. So wurde ausgeführt, die Voraussetzung des besonders schweren Nachteils sei «meistens nicht matchentscheidend» (Ständerat Rieder) und es gehe lediglich um eine Nuancenverschiebung (Ständerat Jositsch, wiederholt durch Ständerätin Z’graggen, Mitte/UR). Es wurde sogar bemängelt, dass es – abgesehen von gerichtlichen Verfahren – keine Kontrolle der Medien gäbe (Ständerat Bauer, FDP/NE).

Für einmal waren es die Vertreter der Polparteien, die vor einer übereilten und unreflektierten Anpassung warnten. So hat sich etwa Ständerat Germann (SVP/SH) wie folgt geäussert: «Herr Rieder, Sie haben gesagt, die Kommissionsmehrheit habe eigentlich nicht mehr getan, als ein bisschen Staub aufzuwirbeln – nicht mehr und nicht weniger. Dann frage ich mich aber, warum Sie das getan haben. Wir sind ja nicht hier drin, um Staub aufzuwirbeln, sondern um Gesetze zu machen, die man nachher vollziehen kann. Irgendeine Bedeutung hat diese Streichung des Wörtchens ‹besonders› auf jeden Fall. Wenn sie nur ein bisschen Staub aufwirbeln würde, könnten wir geradeso gut auch darauf verzichten.»

Ständerätin Mazzone (Grüne/GE) hat darauf hingewiesen, dass weder in der Rechtsprechung noch in der Praxis konkrete Beispiele zu finden seien, die zeigten, dass die Hürde für ein Vorgehen gegen Medien zu hoch sei. Es würden lediglich Beispiele genannt, in denen gar nicht erst versucht worden sei, vorsorgliche Massnahmen gegen Medien zu ergreifen. Mit Blick auf die Praxis und die Rechtsprechung sei schlicht kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf ersichtlich.

Ständerat Sommaruga (SP/GE) hielt fest, dass auch in der Lehre nie gefordert worden sei, die Hürde für Massnahmen gegen Medien herabzusetzen. Und auch im Vernehmlassungsverfahren sei dies von keiner Seite verlangt worden, weder von den Parteien, noch von den Kantonen, noch von den Universitäten, noch von den Anwaltsverbänden. Stattdessen hätten Rechtsprofessorinnen, Anwälte  und Journalistinnen berichtet, dass Gerichte in der letzten Zeit häufiger und leichter vorsorgliche Massnahmen gegen Medien erlassen haben.

Ständerat Levrat (SP/FR) wies darauf hin, dass man hellhörig werden müsse, wenn die Debatte im Plenum zehnmal länger daure als die Debatte in der Kommission. Wenn ein Vorschlag in der Kommission ohne wirkliche Diskussion durchkomme und anschliessend doch so viel zu reden gebe, sei dies ein Zeichen dafür, dass er nicht ausgereift, nicht ausreichend konsolidiert und nicht mit den beteiligten Partnern und Organisationen diskutiert worden sei. Es brauche eine ernsthafte Diskussion über das Spannungsverhältnis zwischen Medienfreiheit, der Rolle der Medien in der Demokratie und dem Schutz der Persönlichkeit. Eine durch Zufall zustande gekommene Anpassung von Art. 266 ZPO sei jedoch abzulehnen.

Fazit

Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu ändern, dann ist es notwendig, das Gesetz nicht zu ändern. Hauptargument gegen die Änderung in Art. 266 ZPO ist m.a.W. das Fehlen von Argumenten für die Änderung. Hinzu kommt, dass kaum absehbar ist, welche Folgen die Änderung mit sich bringen würde. Auch wenn die Möglichkeit besteht, dass die Streichung nur wenig ändern würde, ist unbestritten, dass es einfacher würde, unliebsame Medienberichte zu unterbinden. Dies zeigt sich besonders deutlich im Votum von Bundesrätin Keller-Sutter: «Anstelle der bisherigen Voraussetzung eines drohenden besonders schweren Nachteils soll nur noch ein schwerer Nachteil erforderlich sein. Damit wird die Voraussetzung für solche vorsorglichen Massnahmen gegen periodische Medien doch deutlich gesenkt.»

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