SVP-Nationalrat Roger Köppel zur Frage, ob man die EMRK kündigen solle (siehe Interview, unten):

“Es geht bei der Selbstbestimmungsinitiative darum, die direkte Demokratie zu retten. Mit den Menschenrechten haben wir keine Probleme, die sind alle, erdbebensicher, in unserer Verfassung verankert.”

Wie soll man das verstehen? Als ausweichende Antwort? Oder als Ja zur Kündigung, weil der Schutz der Menschenrechte in der Verfassung ja genüge?

So oder so zeigt sich erneut, wie wichtig es ist, klar zu machen, dass Rechtsschutz auf dem Spiel steht: Ja, die Grundrechte stehen in der Bundesverfassung, fast gleich wie in der EMRK. Aber wenn die EMRK nicht mehr gilt und Beschwerden an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg in der Schweiz wirkungslos werden, kann sich der Gesetzgeber über sie hinwegsetzen. So wie er sich über alle anderen Verfassungsbestimmungen hinwegsetzen kann, weil die Schweiz keine Verfassungsgerichtsbarkeit hat – ausser für die Grundrechte: Das EMRK-Beschwerdeverfahren ist unsere Verfassungsgerichtsbarkeit für die Grundrechte. Um diese geht es.

Aus einem Interview mit Nationalrat Köppel, erschienen in der “Schweiz am Wochenende” vom 15.9.2018, S. 34 f. (Link zum vollständigen Interview, geführt durch Joël Widmer und Philippe Pfister):

Die Abstimmung zur Selbstbestimmungsinitiative im November ist der nächste grosse Kampf der SVP. Das ist aber wieder eine Initiative, welche so tut, also hebe sie Schweizer Werte hervor, eigentlich aber mit wichtigen Traditionen der Schweizer Demokratie bricht. Wir sind bisher gut gefahren, dem unabhängigen Bundesgericht, in welchem 10 von 38 Richter ihrer Partei angehören, genug Spielraum zu lassen.

Köppel: Stimmt. Theoretisch. Das Volk ist die letzte Hüterin des Rechtsstaates, der Demokratie, der Menschenrechte. Aber 2012 hat eine kleine Kammer des Bundesgerichts in einer Anmassung dieses bewährte System weggeputscht. Die Richter haben in einem konkreten Fall die Ausschaffung eines ausländischen Verbrechers verweigert mit der ungeheuerlichen Begründung: Das ausländische Recht stehe generell, also immer, über schweizerischem Recht.

Sie sprechen nicht von irgendeinem internationalen Recht, sondern von jenem, das die Schweiz akzeptiert und das so zu unserem Rechtssystem zählt.

Halt, halt. Natürlich können wir ausländisches Recht übernehmen, aber das Volk und die Kantone müssen das letzte Wort haben, nicht die Richter. 2012 war ein Staatsputsch des Bundesgerichts, das sich zum Verfassungsgeber aufgeschwungen hat. Und auf einmal soll jedes internationale Verträgli, sollen ausländische Gerichtsentscheide immer über Volksentscheiden stehen? Das ist ein Angriff auf die direkte Demokratie. Das müssen wir rückgängig machen. Mit der Selbstbestimmungsinitiative.

Eine Mehrheit der Juristen sagt, das Urteil von 2012 sei nicht spektakulär, sondern folge der vorherigen Rechtsprechung. Warum können Sie das Urteil nicht akzeptieren?

Nehmen Sie zehn Juristen, Sie haben zehn Meinungen. Ich sage: Hier geht es um die wichtigste Frage in der Politik: Wer macht die Gesetze in der Schweiz? Wer entscheidet? Sind es die Schweizer, Volk und Stände? Oder entscheidet das Ausland? Entscheiden Richter und Politiker und Beamte mit Hilfe des internationalen Rechts, das sie über unsere Verfassung stülpen? Die Antwort ist klar: Das Volk ist der oberste Verfassungsgeber in der Schweiz. Das Volk aber wird heute mit überschlauen juristischen Ausschweifungen ausgebremst, siehe Nichtumsetzung Masseneinwanderungsinitiative.

Andere Volksentscheide wurden mit regionalpolitischen oder anderen Spitzfindigkeiten auch mit Hilfe Ihrer Partei verwässert und nicht sauber umgesetzt. So etwa die Zweitwohnungsinitiative.

Die Zweitwohnungsinitiative wurde in Absprache mit den Initianten verwässert, die Masseneinwanderungsinitiative wurde gegen die Initianten nicht mal promillemässig umgesetzt. Die gleichen Abstimmungsverlierer, die nach der Abstimmung sagten, man müsse wörtlich umsetzen, sagten ein Jahr später, man könne gar nicht umsetzen – wegen der EU, wegen des internationalen Rechts. Merken Sie etwas? Man will das Volk entmachten, entrechten. Das internationale Recht ist der neue Zauberstab der classe politique, um unliebsame Volksentscheide, um das lästige Volk wegzuzaubern.

Nochmal: Das sind eben nicht irgendwelche internationale Bestimmungen, sondern solche, welche die Schweizer Gremien, das Parlament oder gar das Volk, selbst akzeptiert haben.

Hören Sie doch auf. Wo hat das Schweizer Volk akzeptiert, dass jetzt das ausländische Recht generell über dem schweizerischen steht? Warum gehen die Leute überhaupt noch zur Abstimmung, wenn sie doch angeblich akzeptiert haben, dass man ihre Volksentscheide gar nicht mehr umsetzt wie bei der Masseneinwanderung? Machtgierige und superschlaue Juristen und Politiker wollen die Macht des Volkes zurückbinden. Endpunkt: Abschaffen. Um selber zu bestimmen!

Jetzt driften Sie ab in die Verschwörungstheorie.

Leider nein. Bilden wir uns nicht ein, wir seien die besseren Menschen in der Schweiz. Unsere Politiker sind genauso machthungrig wie Politiker im Ausland. Die direkte Demokratie stört. Die meisten Leute hier drin im Bundeshaus haben es nicht gerne, dass ihre genialen Eingebungen am Hartbeton der schweizerischen Volkssouveränität abprallen.

Sie degradieren hier das Bundesgericht zu einem Elite-Klüngel, der einen Staatsstreich gegen die direkte Demokratie führt. Das ist doch Quatsch. Es ist doch der Job dieser Richter, diese Auslegungsentscheide zu treffen.

Die Richter sollen das Recht auslegen und anwenden, richtig. Aber sie sollen es nicht selber machen, indem sie willkürlich das internationale Recht über die Verfassung, über Volk und Stände stellen.

Wollen Sie austreten aus der Menschenrechtskonvention?

Nein, aber ich bin gegen diese zum Teil weltfremde, tief in unsere Souveränität eingreifende Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs mit Richtern, die unter anderem von Putin, Erdogan oder dem von links so gehassten Viktor Orbán nominiert worden
sind. Wissen die besser über Menschenrechte Bescheid als wir Schweizer?

Aber die Initiative sieht eine Kündigung vor, wenn ein Widerspruch zwischen Völkerrecht und Verfassung besteht. Soll man also die Menschenrechtskonvention kündigen?

Es geht bei der Selbstbestimmungsinitiative darum, die direkte Demokratie zu retten. Mit den Menschenrechten haben wir keine Probleme, die sind alle, erdbebensicher, in unserer Verfassung verankert.

 

 

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