Naiv sei ihre Erwartung, dass sich Frankreich an die Zusage halten werde, die 40’000 Kundendatensätze der UBS, die ihr die Schweiz ausliefern wird, nicht auch im laufenden Strafverfahren gegen die UBS wegen Geldwäscherei und Beihilfe zur Steuerhinterziehung verwende, wird der dreiköpfigen Mehrheit der Zweiten Öffentlichen Abteilung des Bundesgerichts vorgeworfen. Und ohnehin habe Frankreich nicht dargetan, dass gegen die UBS-Kunden, deren Daten verlangt werden, ein hinreichender Verdacht auf Steuerhinterziehung vorliege. Deshalb handle es sich, wie der unterlegene Referent zutreffend argumentiert habe, um eine fishing expedition, und die Datenauslieferung hätte abgelehnt werden müssen (Link zum Bericht von Kathrin Alder über die Gerichtsverhandlung.)

Soweit ist dies legitime Urteilsschelte. Die Debatte darüber ist zu führen, unter Bezugnahme auf die Urteilsbegründung. Und wenn, wie vorgeschlagen wurde, eine parlamentarische Rechtskommission das Urteil analysieren will, kann das sinnvoll sein, um abzuklären, ob sich aus dem Urteil Handlungsbedarf für die Gesetzgebung ergibt.

Wenn nun aber teils erwogen, teils direkt schon gefordert wird, die Bundesrichterin und die beiden Bundesrichter, die die Mehrheit bildeten, nicht wiederzuwählen, muss man sich bewusst sein, dass dies zu einer Amerikanisierung der schweizerischen Justizpolitik führen würde. Die bevorstehenden Wahlen in den Nationalrat und den Ständerat wären dann nicht mehr nur vorgezogene Bundesratswahlen, sondern auch vorgezogene Bundesgerichtswahlen.

Den Parteien und Kandidierenden muss deshalb vor den Wahlen die Frage gestellt werden, ob sie eine allfälige Mehrheit in der künftigen Bundesversammlung zur Wegwahl von Bundesrichterinnen und Bundesrichter wegen missliebiger Urteile einsetzen würden, und zur Wahl neuer Richterinnen und Richter, die sie als politisch zuverlässig beurteilen.

Wenn in der Schweiz wieder einmal die Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit abgelehnt wurde, war eines der gegnerischen Argumente, man wolle keine Politisierung der Justiz. Nun wird – just aus Kreisen, die die Verfassungsgerichtsbarkeit ablehnten – die Politisierung trotzdem vorangetrieben. Sollte sich diese Tendenz – was nicht zu hoffen ist – durchsetzen, kann man sich fragen, ob der Wegfall des Arguments “keine Politisierung der Justiz” bei einem nächsten Anlauf die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit erleichtern würde.

Ulrich Gut.

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