“Unser Recht” hat Dick Marty um die Erklärung wichtiger rechtlicher Aspekte der Konzernverantwortungs-Initiative (KVI) gebeten. Der Autor war Staatsanwalt und FDP-Ständerat des Kantons Tessin. Er ist Mitglied des Vereins “Unser Recht”.

Konzernverantwortung: Vernünftig, liberal, angemessen

Von Dick Marty

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Die grosse Mehrheit der grossen Schweizer Unternehmen verhält sich sehr gut und hat verstanden, dass ein gutes Image ein Garant für Nachhaltigkeit ist. Jedoch immer wieder verletzen Konzerne mit Sitz in der Schweiz die Menschenrechte und ignorieren minimale Umweltstandards. Sie leisten sich in anderen Weltgegenden Verstösse, für die sie sofort in den Konflikt mit hiesigen Gesetzen und internationalen Standards kämen. Während Konzernfinanzen und Profite in der globalisierten Wirtschaft kaum Grenzen kennen, orientieren sich Haftungsregeln heute noch zu sehr am Produktionsstandort. In einer weltumspannenden Wirtschaftsordnung darf aus liberaler und ethischer Sicht die Durchsetzung von Menschenrechten nicht nur dem Produktionsstandort überlassen werden. Auch der Firmensitz sollte Relevanz haben.

Genau für diese Lücke bringt die Konzernverantwortungsinitiative eine intelligente Lösung. Sie will dem inakzeptablen Ausnützen von schwachen Justiz-Strukturen an Produktionsstandorten durch hiesige Konzerne einen Riegel schieben.

Das Normkonzept der Initiative ist laut Haftungsrechtsspezialist Dr. iur. Gregor Geisser geeignet, den internationalen Menschenrechtsschutz zu stärken, mehr Rechtssicherheit zu schaffen und durch ein verbessertes Risikobewusstsein der Unternehmen auch betont präventiv zu wirken. Die Vorlage orientiere sich am internationalen Koordinationsrahmen. Sie beschränke sich auf international anerkannte Menschenrechte und verzichtet darauf, darüber hinaus Werte zu exportieren.

Der Grundmechanismus ist angelehnt an die seit Jahrzehnten im Schweizer Recht verankerte Geschäftsherrenhaftung, eine bewährte verhältnismässige privatrechtliche Lösung. Sie beruht auf dem Verhandlungsgrundsatz, wie im Zivilprozess üblich, wonach die Parteien die Beweise selbst beizubringen haben. Die Initiative schafft also weder neue Behörden, noch führt sie zu einer Mehrbelastung der Strafuntersuchung: Sie bietet Geschädigten eine Möglichkeit, in einem konkreten Schadensfall Wiedergutmachung zu erlangen. Eine sehr liberale Lösung. Die Haftungsregeln sind zudem begrenzt auf die eigenen Handlungen von Unternehmen sowie deren fehlende Sorgfalt bei der Überwachung von kontrollierten Unternehmen, nicht aber darüberhinausgehende Verletzungen in der Wertschöpfungskette.

Konkret verpflichtet die Initiative grosse Unternehmen – KMU sind ausgenommen – zu einer «angemessenen Sorgfaltsprüfung» und legt fest, dass «Unternehmen auch für den Schaden, den durch sie kontrollierte Unternehmen aufgrund der Verletzung von international anerkannten Menschenrechten oder internationalen Umweltstandards in Ausübung ihrer geschäftlichen Verrichtung verursacht haben, haften». Konzerne haften also für ihre Tochterfirmen und von ihnen kontrollierte Unternehmen.

Die Gegner der Konzernverantwortungsinitiative zeichnen in ihrer Kampagne ein völlig falsches Bild dieser verhältnismässigen, liberalen und wirtschaftsfreundlichen Regelung der Initiative. Die Behauptungen, es komme nach Annahme der Initiative zu einer Klagewelle, sind – gelinde gesagt – an den Haaren herbeigezogen. Nüchtern betrachtet müssten auch Konzern- und Verbandsjuristen zugeben: Die Schwellen für einen Zivilprozess sind sehr hoch. Sowohl inhaltlich wie auch finanziell.

Ein Kläger muss vor einem Schweizer Gericht konkrete und stichhaltige Beweise vorbringen. Er muss nachweisen, dass ein Schaden an Menschen oder Umwelt entstanden ist. Und er muss beweisen, dass dieser Schaden einen kausalen Zusammenhang mit einem widerrechtlichen Verhalten einer Firma hat, die zu einem schweizerischen Konzern gehört. Dieser letzte Punkt dürfte in der Praxis eine grosse Herausforderung für Kläger darstellen: Die tatsächliche Leitung und Kontrolle des ausländischen Unternehmens durch den Schweizer Konzern ist schwierig nachzuweisen, insbesondere da das Schweizer Zivilprozessrecht keine Herausgabepflichten für interne Dokumenten kennt.

Und selbst wenn ein Gericht aufgrund der vorgebrachten Tatsachen und Beweise einen durch das Unternehmen verursachten kausalen Schaden feststellt, kann das Unternehmen noch immer beweisen, dass es alles unternommen hat, um seiner Verantwortung und Sorgfaltspflicht nachzukommen: Konkret betrifft das insbesondere die Instruktion und die Überwachung der Tochterfirma. Das Unternehmen darf also zur Entlastung nachweisen, dass es sich zur Erfüllung seiner Pflichten gut organisiert hat und dass es die entsprechenden Prozesse aufweist und sie umgesetzt hat.

Sind diese Sorgfaltsnachweise stichhaltig, wird die Klage dann trotz eines verursachten Schadens abgewiesen. Dies ist keine Beweislastumkehr, wie die Gegner behaupten, sondern im Gegenteil eine zusätzliche Möglichkeit der Befreiung von einer Haftung – ein Entlastungsbeweis. Es ist somit eine sehr unternehmerfreundliche Regelung.

Die Kläger müssen aber nicht nur die notwendigen Beweise selbst beibringen, sondern dem Gericht auch einen Kostenvorschuss leisten, damit der Fall überhaupt an die Hand genommen wird. Dazu kommt noch die Sicherstellung der Anwaltskosten (Parteientschädigung) des beklagten Unternehmens, sofern dieses das fordert, was die Regel sein wird.

Die emeritierte Professorin und Co-Präsidentin des Initiativkomitees, Monika Roth, erstellte kürzlich ein Rechenbeispiel. Eine Gruppe von Geschädigten aus Sambia, die vor einem Schweizer Gericht (z.B. Handelsgericht Zürich) gegen einen Konzern klagt und eine Entschädigung von einer Million Franken fordert, muss für die erste Instanz und nur für einen ersten einfachen Schriftenwechsel allein ungefähr folgende finanzielle Vorleistung erbringen: 31’000 – 41’000 Franken Vorschuss für die Gerichtskosten, in etwa 45’000 Franken Vorschuss (Sicherstellung) für die Anwaltskosten der Gegenseite, falls diese das wünscht, ca. 60’000 Franken für den eigenen Anwalt (für Ausarbeitung Klageschrift und Teilnahme an Instruktionsverhandlung/Referentenaudienz). Die sambischen Geschädigten müssen damit etwa 136’000 Franken aufbringen, um überhaupt einmal zu klagen.

Nur eklatante Menschenrechtsverletzungen, die lückenlos bewiesen werden können, würden vor Gericht kommen. Dennoch hätte diese Regelung eine präventive Wirkung, weil Konzerne endlich stärker darauf achten würden, wie ihre Tochterfirmen im Ausland arbeiten.

Warum sich Economiesuisse sowie die Parteispitzen von FDP und CVP gegen solch eine liberale, vernünftige und der Bedeutung der Sache angemessene Regelung sträuben, bleibt schleierhaft.

Eine solche Regelung ist nicht neu. Frankreich hat ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, und der britische Oberste Gerichtshof hat anerkannt, dass Opfer, die eine Entschädigung für Schäden des Bergbaukonzerns Vedanta fordern, in ihrem eigenen Land, Sambia, keinen freien Zugang zur Justiz haben und dass sie daher berechtigt sind, in London, dem Hauptsitz des Unternehmens, eine Zivilklage zu erheben.

Indem wir Rechte der Menschen vor Ort anerkennen, geben wir ihnen auch Würde und ermöglichen ihnen, ihr Wohlergehen besser zu gewährleisten. Es ist vor allem auch der beste Weg, um mit den Problemen der Migration umzugehen. In der Vergangenheit wurde die Selbstregulierung als ausreichend für die Bekämpfung der Geldwäscherei angesehen. Die Sorgfaltspflichtvereinbarung der Banken hat bei Finanzinstituten, die sich bereits gut verhalten haben, gut funktioniert. Es hat bei Bösewichten nichts genützt, und unser Land hatte mit vielen Skandalen zu kämpfen, die unser Image geschädigt haben. Nach zwanzig Jahren haben wir endlich ein Gesetz gegen Geldwäscherei verabschiedet und zwar einstimmig. Wie kommt es, dass die Politik und diejenigen, die sie beeinflussen, immer zu spät kommen?

 

 

 

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