Von Niccolò Raselli. Bundesrichter 1995-2012

“Das Verhältnismässigkeitsprinzip, zentrale menschliche Verhaltensregel und als methodisches Konzept zur konkreten Ausformung der Gerechtigkeit zugleich eine der Säulen unserer Rechtskultur, kommt in jüngster Zeit zunehmend unter Druck. Es sind namentlich Verfassungsinitiativen, welche das Prinzip unterminieren, ja eliminieren, indem sie automatische Sanktionen durchsetzen, wo nur das Abwägen privater und öffentlicher Interessen zu menschenwürdigen Entscheidungen führen kann. Es werden für komplexe Probleme radikale, ja menschenverachtende Lösungen angeboten. Diese sind umso verführerischer, als sie vorgeben, diffuse Angst- und Ohnmachtsgefühle der Bevölkerung ernst zu nehmen, derweil sie oft nur als Vehikel eines permanenten Wahlkampfes dienen. Auch scheint die Aushebelung des Verhältnismässigkeitsprinzips umso leichter zu fallen, als der Anspruch, verhältnismässig behandelt zu werden, «nur» bestimmten Kategorien von
Rechtsbrechern vorenthalten wird. An der krassen Ungerechtigkeit dieser Rechtsverweigerung ändert das allerdings nichts. Hinzu kommt, dass diese Verweigerungshaltung auf unsere Rechtskultur insgesamt zurückstrahlt und diese auf lange Sicht nachhaltig beschädigen kann.”

Den vollständigen Text finden Sie hier. Er erschien in der Oktobernummer 2015 der Zeitschrift “Aktuelle Juristische Praxis (AJP)” und wurde uns durch den Verfasser, mit freundlicher Einwilligung des Dike-Verlags, zur Weiterverbreitung überlassen.

Print Friendly, PDF & Email