Zuschrift von Anton Genna, Thun, an die NZZ, erschienen am 18.2.16, S. 9:
Als ehemaliger Strafrichter habe ich in den 1980er Jahren Landesverweisungen als «Nebenstrafe» ausgesprochen – und ich bin auch heute überzeugt, dass diese Sanktion in vielen Fällen richtig wäre. In «vielen» Fällen heisst nicht in «allen» Fällen. Dies gilt sogar bei Delikten gegen Leib und Leben. Im Fall eines Raubmörders ist eine Landesverweisung auch in meinen Augen absolut am Platz. Doch wie ist es, wenn eine Frau einen Vergewaltigungsversuch abwehrt und anschliessend in der Wut ihren Peiniger schwer verletzt, obwohl er bereits ausser Gefecht ist? Juristisch handelt es sich nicht um Notwehr, die Frau wird wegen schwerer Körperverletzung verurteilt, allenfalls unter Zubilligung mildernder Umstände.
Finden Sie es richtig, dass der eigentliche Angreifer (Schweizer) mit einer bedingten Gefängnisstrafe wegkommt, wogegen die Angegriffene (Ausländerin) auch dann unser Land verlassen muss, wenn sie hier geboren wurde? Es gibt zahlreiche weitere Konstellationen, in denen der gesunde Menschenverstand sagen wird: Das haben wir doch nicht so gemeint! Doch steht es dann eben so in der Verfassung. Das Leben ist kompliziert, einfache Rezepte tönen auf den ersten Blick gut, sie führen jedoch in die Irre.
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