Die Vereinigung DIE SCHWEIZ IN EUROPA fordert die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger auf, die sogenannte Durchsetzungsinitiative über die Ausweisung krimineller Ausländer, über die am 28. Februar 2016 abgestimmt wird, zu verwerfen.

Die Initiative stellt eine schwerwiegende Verletzung der Spielregeln unserer halbdirekten Demokratie dar; sie verletzt insbesondere die Grundsätze der Gewaltenteilung und der Verhältnismässigkeit. Die Annahme dieses Texts würde bedeuten, dass die Schweiz mehrere internationale Verträge und Übereinkommen missachtet und ihren Ruf als Rechtsstaat schädigt. Überdies würden die laufenden Verhandlungen mit der Europäischen Union beeinträchtigt.

Hier die wichtigsten Gründe für diese Ablehnung:

  1. Die Initiative trägt einen doppelt falschen Namen.

Sie beansprucht, den 2010 gutgeheissenen Verfassungstext, die sogenannte Aus­schaffungsinitiative, „durchsetzen“ zu wollen – wer erinnert sich nicht an das Plakat mit dem schwarzen Schaf? In Wirklichkeit, geht sie aber darüber hinaus und verschärft den damals verabschiedeten Text noch zusätzlich! Zudem spricht sie von kriminellen Ausländern; in Wirklichkeit hat sie auch Bagatelldelikte im Visier, die nicht unter den Begriff Verbrechen fallen. Wie lange werden wir diese missbräuchlichen Bezeichnungen noch dulden müssen?

  1. Die Initiative missachtet das Gesetzgebungsverfahren.

In der Schweiz müssen neue Verfassungsbestimmungen vom Parlament in Gesetze umgesetzt werden. Das hat das Parlament auf Antrag des Bundesrats nach der 2010 erfolgten Annahme der erwähnten ersten Initiative denn auch getan; die Gesetzesrevision erwies sich in dieser heiklen Materie tatsächlich als zeitraubend und ein Kompromiss als schwierig. Die Initianten warteten jedoch das Ergebnis dieser Arbeiten gar nicht erst ab: Statt gegebenenfalls das Gesetzesreferendum zu ergrei­fen, sammelten sie ohne Verzug Unterschriften, um einen mehrseitigen Text direkt in die Verfassung hineinzuschreiben; offenbar ist ihnen das revidierte Bundesgesetz nicht in allen Punkten scharf genug! Das ist ein grober Missbrauch! Das Volk muss darauf zählen können, dass das von ihm gewählte Parlament seinen Auftrag gemäss der von der Bundesverfassung vorgeschriebenen Gewaltenteilung erfüllen kann.

  1. Die Initiative beraubt den Richter seines Ermessensspielraums.

Die Ausschaffung von Verbrechern im eigentlichen Sinn kann eine wirksame Massnahme sein; das Gesetz sieht sie denn auch ausdrücklich vor. Doch in einem Rechtsstaat ist es der Richter, der letztlich die Verantwortung für eine Beurteilung des Delikts wie auch der sie begleitenden Massnahmen trägt. Im Falle einer Landesverweisung für Ausländer muss er dafür sorgen, dass diese Massnahme in einem angemessenen Verhältnis zur Art der begangenen Straftat und der gefällten Strafe steht; was bedeutet eine derartige Aus­weisung für einen Angeklagten namentlich angesichts seines Alters und seiner Familien­verhältnisse oder auch seiner effektiven Beziehung zur Schweiz? Härtefälle – sie können eintreten, wenn etwa in der Schweiz geborene Minderjährige betroffen sind – müssen individuell beurteilt werden. Die Initiative führt demgegenüber einen brutalen, undifferen­zierten Automatismus ein und hindert den Richter daran, gemäss den Regeln seines Berufs zu entscheiden; der Richter wird zum Roboter!

  1. Die Initiative verletzt internationale Verpflichtungen.

Gleich mehrere internationale Übereinkommen stellen Regeln über die Rechte der Ausländer und auch über die Verhältnismässigkeit der Strafjustiz auf; die Schweiz steht traditionellerweise dafür ein, dass diese rechtsstaatlichen Errungenschaften von möglichst vielen Staaten unterzeichnet und korrekt eingehalten werden.

Hier die vier wichtigsten derartigen internationalen Texte:

  • Europäische Konvention (des Europarats) zum Schutz der Menschenrechte und Grund­freiheiten von 1950 (von der Schweiz Ende 1973 ratifiziert): z.B. Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens;
  • Internationaler Pakt (der UNO) über bürgerlich und politische Rechte von 1966 (von der Schweiz 1992 ratifiziert): u.a. Recht auf rechtmässiges Gerichtsverfahren;
  • Übereinkommen (der UNO) über die Rechte des Kindes von 1989 (von der Schweiz 1997 ratifiziert): u.a. Recht von Minderjährigen auf Zusammenleben mit der Familie;
  • Abkommen mit der EU und ihren Mitgliedstaaten über die Freizügigkeit der Personen von 1999 (2000 und 2009 vom Volk gutgeheissen, in Kraft seit 2002): u.a. Inländer­behandlung, Recht auf Familiennachzug.

Die Initianten versuchen, einen Unterschied zu machen zwischen zwingendem Völkerrecht (z.B. Genozid- oder Folterverbot) und angeblich nicht zwingendem – das wohl eher vernachlässigt werden könnte… Nein! Die Schweiz muss die Grundsätze des Völkerrechts respektieren und insbesondere die Verpflichtungen einhalten, die sie aus freien Stücken eingegangen ist und auf die sie stolz sein kann!

  1. Die Initiative gefährdet unser Verhältnis zur EU.

Im Augenblick verhandeln der Bundesrat mit der Europäischen Union über Mittel und Wege, um den im Abkommen von 1999 vereinbarten freien Personenverkehr und damit den Bilateralismus Schweiz-EU zu retten und gleichzeitig mit der am 9. Februar 2014 in die Bundesverfassung aufgenommenen Beschränkungen der „Masseneinwanderung“ in Einklang zu bringen. Diese Gespräche erweisen sich als sehr schwierig; eine abermalige mutwillige Verletzung der vertraglichen Pflichten durch die Schweiz würde diese Bemühungen zusätzlich belasten, wenn nicht gar zum Scheitern verurteilen und mit ihnen die Politik des Bilateralismus. Gerade jetzt ein tief gestörtes Verhältnis zur EU in Kauf nehmen, wäre unverantwortlich!

  1. Die Initiative wird zum verhängnisvollen Präzedenzfall werden.

Unser Land wird zur Zeit mit einer wahren Flut von Initiativen überschwemmt. Falls am 28. Februar dieser erste Versuch einer Durchsetzungsinitiative Erfolg haben sollte, ist leicht vorauszusagen, dass dies Schule machen wird. Die Verantwortung des Parlaments, bei der Gesetzgebung die Gesamtheit der Verfassungsgrundsätze, wie auch die internationalen Verpflichtungen der Schweiz gebührend zu berücksichtigen, würde gegenstandslos. Der Ruf der Schweiz als Rechtsstaat und verlässlicher Vertragspartner würde ernsthaft beeinträchtigt.

Das politische System der Schweiz mit seiner halbdirekten Demokratie (Volk – Parlament) ist einzigartig; umso wichtiger ist es jedoch, dass nicht mit als volksnah hingestellten Initiativen und Referenden Missbrauch betrieben wird. Die Ereignisse der letzten Zeit zeigen, dass das Zusammenleben unter den Völkern schwieriger wird. Gerade heute darf die Schweiz deshalb nicht ihre internationale Stellung und ihren guten Ruf zusätzlich aufs Spiel setzen. Deshalb unser Aufruf, am 28. Februar Verantwortung für die Schweiz zu zeigen und die Durchsetzungsinitiative mit Entschiedenheit abzulehnen!

Mehr Informationen finden Sie hier.

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