“Polizeidirektoren prüfen Sterbehilfe im Gefängnis”: Unter diesem Titel berichtet Daniel Gerny in der NZZ.

Auszug:

“(…) Im Moment habe ich das Gefühl, dass die Justiz einfach verhindern will, dass jemand im Vollzug stirbt», so umschreibt eine Aufsichtsperson in einer Nationalfonds-Studie ein Dilemma, mit dem Gefängnisleitungen in der Schweiz konfrontiert sind. Auf den Tod sind die Justizvollzugsanstalten (JVA) kaum vorbereitet – obwohl die demografische Alterung in Gefängnissen deutlich weiter fortgeschritten ist als in der Durchschnittsbevölkerung. (…) Es ist deshalb absehbar, dass der Tod hinter Gefängnismauern schon bald zum Alltag gehören wird. Nun lässt die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) abklären, unter welchen Voraussetzungen Sterbehilfe im Justizvollzug ermöglicht werden soll. Das schweizerische Kompetenzzentrum für Justizvollzug erarbeitet dazu ein Grundlagenpapier. (…) Das Altern und der Tod hinter Gefängnismauern gewinnen nicht zuletzt deshalb an Bedeutung, weil die Zahl der Verwahrten zunimmt. Diese haben zudem, anders als bis vor wenigen Jahren, kaum mehr Aussicht auf eine Freilassung – selbst wenn sie gebrechlich oder krank sind.

(…) «Auf sterbende Gefangene ist der Justizvollzug schlecht vorbereitet», lautet jedoch die Schlussfolgerung der eingangs erwähnten wissenschaftlichen Publikation aus dem Jahr 2016, die das Thema im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Lebensende» (NFP 67) untersuchte. Viele Gefangene hätten Angst, nachts einsam und unbemerkt in der Zelle zu sterben, heisst es darin. Insassen, die mit ansehen, wie ein Mitgefangener stirbt, erlebten die Betreuung vielfach als ungenügend. Auch viele Gefängnismitarbeitende litten darunter, dass hinter Gefängnismauern jeder Sterbefall zu einem Notfall werde, für welchen kaum Betreuungskonzepte existierten. Die Verlegung von sterbenden Inhaftierten in ein nicht abgeschirmtes Umfeld werde immer weniger bewilligt, konstatiert auch Benjamin Brägger, Sekretär des Strafvollzugskonkordates Nordwest- und Innerschweiz, in einem kürzlich publizierten Artikel. «Der Sterbeprozess verläuft dann in diesen bewachten und gefängnisähnlichen Abteilungen.» (…)

Ein Urteil des Bundesgerichtes zur Sterbehilfe in Heimen deutet darauf hin, in welche Richtung die Entwicklung gehen könnte: 2016 entschied das Gericht in einem Fall aus Neuenburg, die Heilsarmee müsse begleiteten Suizid in ihrem Alters- und Pflegeheim dulden, obwohl es ihrer religiösen Haltung widerspricht. (…) Strafvollzugsexperte Brägger meint gestützt auf das Urteil, dass auch Gefängnisse als öffentliche Institutionen Suizidhilfe zulassen müssten: «Das Recht auf Selbstbestimmung im Tod darf bei Gefangenen nicht von ihrem strafrechtlichen Status abhängig gemacht werden.»”

Siehe vom selben Autor auch:

“«Die Angst, dass ich im Sarg hier herauskomme, ist da» – ein verwahrter Sexualstraftäter erzählt aus seiner Welt.”

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