“Guter Boden für schlechte Predigten”: Unter diesem Titel stellt Andreas Tunger-Zanetti, Koordinator des Zentrums für Religionsforschung an der Universität Luzern Vorschläge für wirksame, aber gegenüber der muslimischen Bevölkerung auch respektvolle Massnahmen gegen islamistische Radikalisierung.

Link zum NZZ-Artikel.

“«Imame überwachen», «Predigten nur auf Deutsch», «Moscheen schliessen». Solche Forderungen kommen im Zusammenhang mit umstrittenen islamischen Predigern immer wieder auf. Die Folgen wären absehbar: Gefühle des Zurückgewiesenseins auch bei Muslimen, die bessere oder gar keine Predigten hören; religionspolitischer Flurschaden, Verbitterung. Ganz abgesehen von der wohl unlösbaren Aufgabe, pauschale Massnahmen juristisch so auszugestalten, dass sie keine Grundrechte verletzen und nicht diskriminieren. Dennoch hat die Gesellschaft ein berechtigtes Interesse daran, dass in allen Religionsgemeinschaften gute Predigten zu hören sind. Gut ist für mich eine Predigt, wenn sie den Gläubigen im Horizont ihrer Religion eine Orientierung bietet, die gegenüber der Gesellschaft grundsätzlich offen ist, selbstverständlich im Rahmen der Schweizer Rechtsordnung. Welche Wege führen also dorthin? (…)

In den Herkunftsländern von Schweizer Musliminnen und Muslimen ist das Pflichtenheft eines Imams schmaler als hierzulande. Die Öffentlichkeit und viele Moscheemitglieder erwarten hier trotz allem einen «muslimischen Pfarrer». Dem Wunschbild entspricht er, wenn er nicht nur die Gebete leitet und gut predigt, sondern auch gründlich islamische Theologie studiert hat, die Schweizer Verhältnisse kennt, Kinder unterrichtet, Jugendliche anspricht, als Seelsorger und Mediator für Familien, Schulen und Behörden bereitsteht, Kranke besucht, an runden Tischen teilnimmt und für die Medien stets erreichbar ist; dies alles bitte in gut verständlichem Deutsch.

Diesen Superman gibt es unter Imamen so wenig wie unter Pfarrern. Glücklich schätzen sich Gemeinden, deren Imam wenigstens einem Teil der Erwartungen genügt. Zudem muss ihn sich die Gemeinschaft überhaupt leisten können. (…)

Wie würde er besser? Zunächst müssen die Vorstände, aber auch Behörden, Zivilgesellschaft und Medien das strukturelle Problem als ein solches anerkennen. Erst regelmässiger Austausch mit dem Vorstand und dem Imam erlaubt zu sehen, wo im konkreten Fall der Schuh drückt, und öffnet das Tor zur Zusammenarbeit: Wie könnte die Gemeinschaft zu günstigeren Räumen kommen? Welche Angebote unterstützen die Weiterbildung des Imams, der Vorstandsmitglieder oder der Freiwilligen? Auf welchen Foren der politischen Gemeinde kann sich ein Verein vorstellen? Was spricht dagegen, dass Gemeinderat und Moscheevorstand sich zu besonderen Anlässen einladen und die Einladungen auch wahrnehmen? Für die Imame lohnt sich Weiterbildung und Zusammenarbeit, wenn es ihre Aussichten auf dem Arbeitsmarkt verbessert, etwa in der Erwachsenenbildung oder als Seelsorger im Spital.

Ein solcher umfassender Ansatz lässt auf allen Seiten das Verständnis füreinander wachsen und schafft den Boden, auf dem gute Predigten gedeihen.”

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