Der Fall Lauber / FIFA hat dem Ansehen der Schweiz bereits schweren Schaden zugefügt. Ein Artikel in der liberalkonservativen deutschen Qualitätszeitung “Frankfurter Allgemeine (FAZ)”, erschienen am 24.8.2020, bestätigt, wie berechtigt und notwendig die heftige Kritik und die Forderungen der NZZ-Bundesgerichtskorrespondentin Kathrin Alder und Anderer waren und sind.

Auszug aus dem Artikel der FAZ unter dem Titel “Erfolglos im Sumpf”: “Die Schweizer Justiz hat im Fifa-Fall bisher versagt. Schuld daran trägt auch die Politik. (…) An der Aufgabe, endlich Licht ins Dunkel fragwürdiger Umtriebe im Fußball und des parasitären Systems der Abzocker-Funktionäre zu bringen, ist die Schweizer Justiz jedoch bislang gescheitert. Die milliardenschweren und vielfach in Verruf geratenen Sportorganisationen wie die Fifa oder das Internationale Olympische Komitee in Lausanne haben in der Eidgenossenschaft wenig zu befürchten. „Die Schweiz ist ein Piratenhafen“, kritisiert der Korruptionsexperte und Strafrechtsprofessor Mark Pieth aus Basel. „Sie lädt große Sportorganisationen ein und lässt sie als einfache Vereine ohne jegliche Regulierung laufen, anstatt sie zu einem Mindestmaß an professioneller und regelkonformer Führung zu zwingen.“ (…)

Laubers hanebüchenes Vorgehen ist aber nicht der einzige Grund dafür, dass auch der Prozess im Zusammenhang mit der WM-Vergabe 2006 nach Deutschland sang- und klanglos gescheitert ist. Das zuständige Bundesstrafgericht in Bellinzona benötigte ein halbes Jahr, um die Anklage der Bundesanwaltschaft zu prüfen, und ließ auch danach wertvolle Zeit verstreichen, obwohl die Richter wussten, dass das Verfahren zu verjähren drohte. Das höchste Strafgericht im Land wirkte nicht nur auf blamable Weise überfordert, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ konstatierte, sondern geriet überdies selbst wegen interner Streitigkeiten in die Schlagzeilen. Sexismus- und Mobbing-Vorwürfe machten die Runde, auch von Spesenexzessen und Günstlingswirtschaft war die Rede. Das Bundesgericht in Lausanne, das als höchstes Gericht der Schweiz auch als Aufsichtsbehörde für das Bundesstrafgericht zuständig ist, ging den Vorwürfen nach und kam zum Ergebnis, dass sie nicht berechtigt seien. Allerdings erwies sich die Untersuchung als lückenhaft; so wurden zum Beispiel die Betroffenen gar nicht angehört. Und dann sickerte auch noch durch, dass sich der Präsident des Bundesgerichts, Ulrich Meyer, am Rande einer Befragung herablassend über eine Richterin des Strafgerichts geäußert hatte. (…)

Angesichts all dieser Vorkommnisse sieht Pieth die Schweiz in einer „echten Justizkrise“. Die Wurzel des Übels, urteilt der Strafrechtler, liege in der starken Einflussnahme der Politik. „Unsere obersten Richter werden nach dem Parteibuch gewählt. Kompetenz spielt hingegen keine Rolle.“ In der Schweiz muss man formal nicht einmal Jura studiert haben, um Bundesrichter zu werden. Zwingende Voraussetzung ist jedoch die Mitgliedschaft in einer Partei. Die gut bezahlten Posten werden analog zur Sitzverteilung der Parteien in den beiden Parlamentskammern vergeben. Dahinter steckt die Idee, dass sich die verschiedenen politischen Strömungen der Gesellschaft auch in der Rechtsprechung spiegeln sollen.

Auch in Deutschland werden Bundesrichter vom Parlament bestimmt. Während ein Richter am Bundesverfassungsgericht, einmal gewählt, zwölf Jahre im Amt bleibt und folglich in dieser Zeit unabhängig handeln kann, müssen sich die obersten Richter in der Schweiz nach sechs Jahren einer Wiederwahl stellen. Dann sind sie also abermals auf die Rückendeckung ihrer Partei angewiesen – und fühlen sich deshalb womöglich an deren Linie gebunden. Überdies müssen die Richter als Gegenleistung für die Unterstützung ihrer jeweiligen Partei eine sogenannte Mandatssteuer überweisen, die zwischen 3000 und 20 000 Franken im Jahr beträgt. Aufgrund dieser Praktiken hegt die Antikorruptionskommission des Europarats längst Zweifel an der Unabhängigkeit der Schweizer Justiz. Sie regte Reformen an, was in der Schweizer Regierung jedoch keinen Anklang fand.

Dabei gibt es durchaus Beispiele für die Einflussnahme der Politik. Als im vergangenen Jahr ein von der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) ins Amt gehievter Bundesrichter dafür stimmte, den französischen Steuerbehörden bestimmte Bankkundendaten einer Schweizer Bank auszuhändigen, drohte SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi offen damit, diesen Richter nicht wiederzuwählen. Auch die jüngsten Querelen am Bundesstrafgericht in Bellinzona fußen offensichtlich auf parteipolitischen Ränkespielen.

Und dann ist da noch die erstaunliche Wiederwahl von Bundesanwalt Lauber Ende September 2019. Obwohl seine Verfehlungen zu jener Zeit längst hinreichend dokumentiert waren, entschied sich das Parlament mehrheitlich dafür, dem Bundesanwalt ein dritte Amtszeit zu gewähren.

Fachleute wie Markus Mohler schütteln darüber nur den Kopf: „Das Parlament hat bisher versagt“, sagt der ehemalige Staatsanwalt und Kommandant der Kantonspolizei Basel im Gespräch mit der F.A.Z. Mohler vermutet, dass Lauber seinerzeit vor allem von den zahlreichen Bankenfreunden im Parlament gestützt wurde. „Lauber hat die Schweizer Banken in puncto Geldwäsche sicher nicht mit harter Hand angefasst.“ Der promovierte Strafrechtler stellt auch der Aufsichtsbehörde AB-BA kein gutes Zeugnis aus. (…) „Das Parteibuch darf bei der Richterwahl einfach keine Rolle spielen“, kritisiert Mohler und mahnt Reformen an: Eine unabhängige Kommission sollte Kandidaten ausschließlich auf deren fachliche Eignung hin prüfen und zur Wahl vorschlagen. Mit diesem Vorschlag ist Mohler sehr nah an der sogenannten Justizinitiative des Unternehmers Adrian Gasser, der die Richterwahl entpolitisieren will. Nach Mohlers Einschätzung hat Gassers Vorstoß durchaus Chancen auf Erfolg: „Der Fall Lauber wird der Justizinitiative Aufwind geben.“ Dann hätte das erfolglose Stochern der Schweizer im Fifa-Sumpf wenigstens etwas Gutes.”

*

Trotz alledem beschloss der Bundesrat am 19. August 2020, den Räten die Ablehnung der Justiz-Initiative ohne Gegenvorschlag oder Gegenentwurf zu beantragen. Aus diesem Anlass erinnern wir an einen Beitrag vom 5. August 2019 erhielten, in dem sich alt Bundesrichter Niccolò Raselli für einen Gegenvorschlag aussprach (Link dazu)

Print Friendly, PDF & Email