“Geheimvertrag:Chinesen dürfen in der Schweiz ermitteln.” Unter diesem Titel berichtete die “NZZ am Sonntag” am 22.9.2020 (Link): “Der Bund will ein brisantes, öffentlich kaum bekanntes Abkommen verlängern.”

Die verfahrenstechnische Begründung: Um illegal anwesende Ausländerinnen und Ausländer ausschaffen zu können, ist die Schweiz daran interessiert oder gar darauf angewiesen, dass Funktionäre aus deren Herkunftsländern in der Schweiz deren Identität und vielleicht auch andere Informationen ermitteln.

Was aber, wenn ein Herkunftsland durch eine Diktatur beherrscht wird, die brutal gegen dissidente oder auch nur zu wenig angepasste Individuen und gegen Minderheiten vorgeht? Wenn damit gerechnet werden muss, dass die in der Schweiz  gesammelten Informationen dazu missbraucht werden, die Menschenrechte der betroffenen Menschen zu verletzen, nachdem sie zurückgeschafft wurden?

Muss eine Person, die in der Schweiz durch einen Schergen einer brutalen Diktatur aufgespürt und Ermittlungshandlungen unterzogen wurde, nicht per se unter den Schutz des Non-Refoulement-Prinzips gestellt werden? Wie das Staatssekretariat für Migration gegenüber der “NZZ am Sonntag” erklärte, werden Wegweisungen nach China bei Menschen tibetischer Ethnie schon bisher nicht vollzogen.

Jedenfalls muss der Zielkonflikt, der sich ergibt, zugunsten der Menschenrechte, nicht zugunsten des Ausschaffungsverfahrens, entschieden werden. Man braucht nicht alle derartigen Zusammenarbeitsverträge abzulehnen. Zu fordern und parlamentarisch einzuführen sind aber Bestimmungen, die ihren Vollzug begrenzen, bei Menschenrechtslagen wie in China und Russland zur ihrer Nichtanwendung führen und dafür sorgen, dass dies kontrolliert wird.

Bericht und Diskussion in der Schweiz haben jetzt auch in Deutschland die Frage aufgeworfen, ob ein solcher Vertrag bestehe (Link).

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Interessant mag ein Seitenblick auf die Debatte sein, die über die Auslieferung von Steuerdaten an Diktaturen geführt wurde. In Fällen, in denen es mitunter durchaus auch um widerrechtliche Verfolgung, aber nicht unmittelbar um individuelle Freiheit,  körperliche oder seelische Unversehrtheit geht, wurden begrenzende Kriterien erwogen und abgelehnt (Link zu einem SRF-Bericht vom 17.9.2019).

Ulrich Gut.

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