Auszug aus einem Interview Alex Baurs in der “Weltwoche” Nr. 30/31, 27. Juli 2017, S. 44 ff., mit Nationalrat Kurt Fluri (FDP-Liberale, Solothurn).

Fluri: (…) Was ich inhaltlich nicht goutiere bei der SVP: dass sie die internationalen Verträge missachten will. Das geht einfach nicht.

Baur: Konflikte zwischen nationalem und internationalem Recht gab es immer schon, es ist einfach die Frage, was Priorität hat. Sie haben vorher das Verfassungsgericht erwähnt, das die Schweiz stets abgelehnt hat, weil es sich mit Fragen befasst, die bei uns nicht juristischer, sondern politischer Natur sind. Doch der Strassburger Gerichtshof hat sich zu einer Art Verfassungsgericht gemausert, das unter Berufung auf die Menschenrechte über solche politischen Fragen urteilt. Das ist undemokratisch und unehrlich, das darf man doch kritisieren.

Fluri: Wir haben die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) unterschrieben, wir haben uns dem Gerichtshof freiwillig unterstellt, niemand hat uns dazu gezwungen. Wenn man das falsch findet, dann kann man die Kündigung der EMRK fordern. Aber man kann nicht einfach sagen: ‘Wir respektieren die Gerichtsentscheide nur noch, wenn es uns passt.’ Das Gleiche gilt für die Personenfreizügigkeit. Man kann nicht einfach sagen: ‘Wir setzen uns einfach über den Vertrag hinweg’, wie dies die SVP bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative fordert.

Baur: Bis in die 1990er Jahre galt die Lehrmeinung, dass im Konflikt das nationale Recht überwiege und dass es Sache des Gesetzgebers sei, die Gesetze den zumeist unscharf abgefassten internationalen Normen anzupassen oder eben nicht. Die meisten Länder handhaben das so, nur die Schweiz will den Musterknaben spielen.

Fluri: Mit dem Bilateralismus gibt es diesen Spielraum nicht mehr, die Vereinbarungen mit der EU sind detailliert und klar formuliert. Wir haben sechs mal demokratisch über die bilateralen Verträge abgestimmt, Kohäsionsmilliarde inklusive. Daran müssen wir uns halten. Wenn die SVP ehrlich wäre, müsste sie eine Initiative zur Kündigung der EMRK oder der bilateralen Verträge lancieren. Aber das tut sie eben nicht, weil sie genau weiss, dass sie damit keine Chance hätte. Wenn es darum geht, klare Verhältnisse zu schaffen, windet sich die Schwarz-Weiss-Partei immer, dann wird sie zur Schwarpeter-Partei, welche die Verantwortung den andern zuschiebt.

 

 

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