1. Die Selbstbestimmungsinitiative – ein Etikettenschwindel

Die Selbstbestimmungsinitiative richtet sich nur scheinbar gegen sogenannte „fremde Richter“. Die Etikette „fremde Richter“ dient lediglich als xenophober Beschleuniger. In Wirklichkeit gilt der Kampf der eignen Justiz, der Dritten Gewalt.  Christoph Blocher und seine SVP möchten diese am liebsten durch Volksentscheide ersetzen, wie das bei der massiv verworfenen Durchsetzungsinitiative der Fall gewesen wäre. Mit der deutlichen Verwerfung der Initiative hat das Volk der Entmachtung der Justiz einen Riegel geschoben. Mit der sog. Selbstbestimmungs- initiative möchten Christoph Blocher und seine SVP dieses Resultat rückgängig machen. Wie kam es zu dieser Initiative?

  1. Der Referent stellt einen provokanten Antrag

Am 12. Oktober 2012, knapp 2 Jahre nach Annahme der Ausschaffungsinitiative, hatte das Bundesgericht drei Fälle zu beurteilen, bei welchen es um die Ausweisung straffällig gewordener Ausländer ging. Unter Berufung auf die Ausschaffungsinitiative beantragte der Referent, abweichend von der bisherigen Praxis, die Ausländer automatisch auszuweisen, d.h. ohne Prüfung der Verhältnismässigkeit dieser Massnahme. Die anderen Richter waren damit nicht einverstanden und es kam zur öffentlichen Beratung der Beschwerden.

  1. Die Mehrheit des Gerichtes pocht auf die bewährte Praxis

Für die Mehrheit des Gerichtes war klar, dass eine automatische Ausweisung weder mit andern Bestimmungen der Bundesverfassung noch mit der EMRK vereinbar wäre. Denn beide Erlasse verlangen für schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte – hier das Recht auf Familienleben – die Prüfung der Verhältnismässigkeit. In zwei der drei Fälle erachtete das Bundesgericht die Ausweisung als verhältnismässig und wies die Beschwerden ab und bestätigte damit die Ausweisungen. Im dritten Fall hiess es die Beschwerde gut und hob die Ausweisung auf, weil sie unverhältnis- mässig gewesen wäre.

  1. Wo liegt der Stein des Anstosses?

Da das Bundesgericht damit der bewährten Praxis folgte, fragt man sich, wo denn der Stein des Anstosses liegt. Stein des Anstosses ist für SVP-Nationalrat Vogt die Aussage des Gerichtes, dass eine automatische Ausweisung in jedem Fall gegen die EMRK verstossen würde. Als Reaktion auf diese Urteile lancierte Nationalrat Vogt die Idee der sog. Selbstbestimmungsinitiative.

  1. Die Härtefallklausel wahrt Verfassung und EMRK

In der Folge schickte sich das Parlament an, die Ausschaffungsinitiative umzusetzen, und baute gegen den erbitterten Widerstand der SVP-Fraktion in das Ausführungsgesetz eine Härtefallklausel ein, die, wenn auch bei einem strengen Rahmen, die Prüfung der Verhältnismässigkeit gewährleistet. Damit sanktionierte das Parlament im Ergebnis die Praxis des Bundesgerichtes.

  1. Die SVP will den Automatismus in der Verfassung

Daraufhin reichte die im Parlament unterlegene SVP die sog. Durchsetzungsinitiative ein. Mit dieser hätte die automatische Ausweisung in der Verfassung festgeschrieben werden sollen. Nachdem die Initiative in der Volksabstimmung deutlich verworfen worden war, reichte die SVP die sog. Selbstbestimmungsinitiative ein.

  1. Die SVP will den Automatismus auf Biegen und Brechen

Eines der Ziele der Initiative ist laut Parteipräsident Rösti, „die fehlende Umsetzung … der Ausschaffungsinitiative zu korrigieren“(Tages-Anzeiger vom 11. April 2018, S. 4.). Es soll also mit Hilfe der sog. Selbstbestimmungsinitiative der Automatismus doch noch erzwungen und damit die Justiz ausgehebelt werden. Um das zu erreichen, soll die EMRK gekündigt werden, was ja nach den Worten  von Nationalrat Vogt „in der Stossrichtung der Initiative“ liegt (NZZ vom 27. November 2014, S. 12 ).

  1. Ziel ist die Ausschaltung der Dritten Gewalt

Nach einer Annahme der Initiative würde menschenrechtswidrigen Initiativen, z.B. automatischen Ausschaffungen, und der Ausschaltung der Dritten Gewalt nichts mehr entgegenstehen.

November 2018

Niccolò Raselli (1995-2012 Bundesrichter)

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