Stellungnahme von Pro Senectute Schweiz gegen die “Selbstbestimmungsinitiative”:

Menschenrechte im Alter

Pro Senectute setzt sich seit über 100 Jahren für das Wohl älterer Menschen ein und unterstützt sie dabei, bis ins hohe Alter unabhängig und selbstbestimmt zu leben und am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Grund- und Menschenrechte gelten für alle Menschen gleichermassen. Die
demographische Entwicklung führt vor Augen, dass es mit zunehmendem Alter vermehrt zu Hindernissen für ein selbstbestimmtes Leben oder zu Situationen im Alltag kommen kann, in welchen die Grundrechte eingeschränkt oder verletzt werden, z.B. in der Pflege, bei der Wohnungssuche, auf dem Arbeitsmarkt oder in der Gesundheitsversorgung. In den vergangenen Jahren sind deshalb die Menschenrechte älterer
Menschen in den Fokus verschiedener internationaler Gremien (bspw. UNO, Europarat) gerückt. Dabei werden ältere Menschen zunehmend als besonders vulnerable Gruppe wahrgenommen wie es u.a. bereits bei Kindern oder bei Menschen mit Behinderungen der Fall ist. Schliesslich geht es dabei um die Frage, ob es Lücken im internationalen Menschenrecht in Bezug auf ältere Menschen gibt, welche gegebenenfalls zu schliessen wären.

Engagement für Menschenrechte

Pro Senectute hat sich an Gesprächen mit dem Schweizerischen Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) beteiligt, um die aktuelle Menschenrechtssituation älterer Menschen und den  Handlungsbedarf einzuschätzen. Diese Bestandsaufnahme hat gezeigt, dass das Thema Menschenrechte im Alter in der
Schweiz hohe Relevanz besitzt. Zahlreiche Alltagsfragen älterer Menschen weisen eine grund- und menschenrechtliche Dimension auf. Lebensbereiche wie Arbeit und Pensionierung, Wohnen und Mobilität sowie Gesundheit und Pflege haben hier eine besondere Bedeutung. Das SKMR identifizierte zudem Gleichbehandlung und (Nicht-)Diskriminierung, Autonomie und Partizipation, sowie Gewalt und Vernachlässigung als zentrale Themen in Bezug auf die Menschenrechtssituation älterer Personen. Die
Benachteiligungen werden jedoch meistens als faktische Probleme und nicht als Grundrechtsfragen wahrgenommen. Zudem bestehen verschiedene Defizite in der Umsetzung der bestehenden Grundrechte. Entsprechend setzt sich Pro Senectute für eine Sensibilisierung und verbesserte Umsetzung der Grund- und Menschenrechte älterer Menschen ein.

Situation in der Schweiz

Wie in allen 47 Mitgliedstaaten des Europarates haben auch alle Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz das Recht, am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu klagen. Dieser prüft die Umsetzung und Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention, die für alle Mitgliedstaaten den
Mindeststandard an Menschenrechten definiert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bisher nur in wenigen Fällen eine Verletzung der Konvention in der Schweiz festgestellt. Dennoch: Menschenrechte sind nicht selbstverständlich – auch nicht in der Schweiz, wie die Beispiele der administrativen Versorgung oder auch die (zu kurzen) Verjährungsfristen bei Asbestopfern aufzeigen.

Auswirkungen der Selbstbestimmungsinitiative

Die Annahme der Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» gefährdet den Menschenrechtsschutz, indem die Europäische Menschenrechtskonvention nicht mehr systematisch angewendet werden könnte. Die Europäische Menschenrechtskonvention würde keinen Schutz mehr vor Verletzungen der Grund- und Menschenrechte durch Bundesgesetze bieten und die
Schweizer Rechtsprechung wäre nicht mehr an die Gerichtsentscheide des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte gebunden. Gerade für besonders vulnerable Gruppen wie ältere Menschen – bei welchen zurzeit auch viele neue menschenrechtliche Fragen aufkommen – würde so ein zentrales Element zur Wahrung und Durchsetzung der Menschenrechte wegfallen. Mit der Annahme der Volksinitiative wären auch weitere zentrale menschenrechtliche Übereinkommen (z.B. UNO-Menschenrechtspakte) gefährdet. Aus diesen Gründen empfiehlt Pro Senectute die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» abzulehnen.

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