Dr. iur. Roberto Bernhard*, Bundesgerichtskorrespondent der NZZ im Ruhestand, greift mit einer Zuschrift an die NZZ in die Diskussion über das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht ein (26.10.17, S. 9):

“Zum diskutierten Problem, ob das Bundesgericht einen bestehenden Staatsvertrag trotz einer anders lautenden neuen Verfassungsbestimmung anzuwenden habe (NZZ 3., 18., 20. und 23. 10. 17), findet sich die Lösung in der Bundesverfassung selber. Deren Artikel 190 erklärt Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden für «massgebend», d. h. deren Anwendung ist zwingend, ungeachtet dessen, was die Bundesverfassung sonst sagt. Das ist zwar eine jedem Juristen bekannte Merkwürdigkeit, die indessen vom Verfassungsgeber so gewollt und von Volk und Ständen so genehmigt worden ist. Sie rührt daher, dass in der Schweiz die Legislativgewalt über die Gewalt der Justiz gestellt wurde und die Prüfung der Verfassungskonformität von Bundesgesetzen und Staatsverträgen der Bundesversammlung vorbehalten wurde. Diese Regelung bedeutet, dass ein geltender Staatsvertrag vom Bundesgericht angewendet werden muss. Das liegt auch in der völkerrechtlichen Logik: Ein vertraglich einem anderen Staat gegebenes Wort ist verbindlich und kann nicht durch einen binnenrechtlichen Akt ausser Kraft gesetzt werden. Schaffen Volk und Stände eine dem Staatsvertrag widersprechende Verfassungsbestimmung, so kann dies allenfalls Anlass dazu bieten, den Vertrag zu kündigen. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist und zum Eintritt der Kündigungswirkung bleibt er aber auch dann für das Bundesgericht verbindlich.”

*Die Universität Zürich würdigte die Verdiensts Roberto Bernhards mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde “für die Leistungen, die er als scharfsinniger Beobachter am Bundesgericht für die juristische Lehre und Praxis erbracht hat sowie für seinen ausserordentlichen publizistischen Einsatz für den Föderalismus, insbesondere die Verständigung zwischen den verschiedenen Sprachregionen und Landesteilen der Schweiz.” Link zum Bericht der Universität Zürich.

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