Mit Hilfe chinesischer Agenten will das Staatssekretariat für Migration (SEM) Menschen aus China, die illegal in der Schweiz sind, zurückschaffen können. Eine Stellungnahme gegenüber dem Tages-Anzeiger gestattet die Annahme, dass das SEM diesbezüglich ein gewisses Problembewusstsein hat. Auszug aus dem am 6.10.2020 erschienenen Bericht von Claudia Blumer:

“Das SEM entgegnet den Bedenken der Hongkong-Diaspora. Die chinesischen Beamten kämen nur auf Einladung des SEM und für kurze Zeit in die Schweiz, die Gespräche mit mutmasslichen chinesischen Staatsangehörigen, die vom SEM rechtskräftig nach China weggewiesen worden seien, fänden in den Räumen der Bundesverwaltung unter der Aufsicht von SEM-Mitarbeitern statt, sagt ein Sprecher des Amts. Danach erstatten die chinesischen «Experten» gegenüber dem SEM Bericht. Zudem: «Was würden die Leute sagen, wenn wir rechtskräftig abgewiesene Personen in der Schweiz liessen? Das wäre widerrechtlich und würde kaum akzeptiert», sagt der Sprecher.

Kontrollieren kann das SEM dies nicht. Dafür wäre der Nachrichtendienst zuständig. Das Thema betrifft nicht nur die Migrationsbehörden und potenziell den Nachrichtendienst, sondern auch die Aussenpolitik, die sich derzeit vertieft mit China auseinandersetzt. Ende Jahr will das Aussendepartement die neue China-Strategie vorlegen.”

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Für die nächste Phase der politischen Debatte stellen sich zum Beispiel folgende Fragen:

    • Besteht Übereinstimmung in der Erwartung, dass die chinesischen Ermittler nicht nur schweizerische Migrationsverfahren unterstützen wollen, sondern auch eigene Ziele verfolgen werden?
    • Wie werden sie sich in China auf die Befragung in der Schweiz vorbereiten, insbesondere durch Massnahmen gegen Angehörige und Nahestehende der Personen, die sie in schweizerischem Auftrag befragen werden?
    • Woher nimmt das SEM die sprachliche und interkulturelle Kompetenz, um zu erkennen, ob die chinesischen Ermittler sich an die Grenzen des schweizerischen Auftrags und der schweizerischen Auflagen halten?
Es ist möglich, ja sogar wahrscheinich, dass die SEM-Begleitung die Druck- und Schmerzpunkte der Befragten nicht kennt und ihre Bedeutung nicht beurteilen kann; dass sie somit nicht weiss, wo die chinesischen Agenten zur Verfolgung eigener Interessen Hebel der Psycho-Folter ansetzen können. Sie können diskret, für die SEM-Begleitung nicht wahrnehmbar, ausspielen, dass sie in China Verwandte oder andere Bezugspersonen des oder der Befragten gefoltert haben oder verschwinden liessen, oder dass sie dies tun werden, wenn die befragte Person nicht kooperiert.
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Angesichts der Menschenrechtslage in China muss damit gerechnet werden, dass Menschen, die einer solchen Befragung ausgesetzt waren, anschliessend unter den Schutz des Non-Refoulement-Prinzips zu stellen sind. Damit entfällt der angestrebte migrationspolitische Nutzen – ganz abgesehen davon, dass auch in Migrationsverfahren der Zweck nicht die Mittel heiligt.

 

 

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