In der Schweiz läuft eine Debatte an, ob die Verjährung bei Mord und anderen schweren Gewalttaten abgeschafft werden soll:

Basisinformationen hier.

Kritische Stellungnahme von Professor Martin Killias hier.

Zum Wiedereinstieg in die Verjährungsdiskussion diene ein fiktiver Dialog mit Thomas Isler, Kolumnist der “NZZ am Sonntag” (“Nachgefragt bei Thomas Isler”, 13.3.2016, S. 20):

Isler: “Politiker mögen nichts so sehr wie Forderungen nach neuen oder schärferen Regeln im Strafrecht. Das signalisiert Tatkraft, bringt Applaus von links bis rechts, kostet nichts und hat kaum konkrete Auswirkungen auf den Alltag.”

Man könnte es kaum zutreffender ausdrücken.

Isler: “Es kann also nichts schiefgehen.”

Doch. Die Durchsetzungsinitiative wurde abgelehnt.

Isler: “So gesehen war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand mit der Forderung nach einer Aufhebung der Verjährung von Mord kommen würde.”

Mag sein.

Isler: “Die Verjährung wird im Strafrecht mit zwei Überlegungen begründet. Die erste ist eine eher rechtsphilosophische und besagt, dass Zeit grundsätzlich eine heilende Wirkung hat, auch im Bereich der Kriminalität. Dass Wunden vernarben, dass Täter sich ändern und dass irgendwann weitergelebt werden muss, egal, wie schwerwiegend die Verletzung des Rechtsfriedens war.”

Dieser philosophische Pfad verdient es, dass wir ihm nachgehen. Ideengeschichte, Ethik und Psychologie werden Beiträge leisten können. Welche Bedeutung hatte bei der Einführung der Verjährung die Ethik der Vergebung? Wie wichtig war und ist die Erkenntnis, dass es für Opfer bzw. bei Tötungsdelikten für deren  Angehörigen ein besseres Weiterleben ermöglicht, wenn sie sich zu einem ihnen möglichen Zeitpunkt vom Bann des Vergangenen befreien? Sind sich die Opfer, die Angehörigen, heute einig, dass das falsch ist?

Isler: “Neue kriminalistische Verfahren machen es heute möglich, auch lange nach Ablauf der Verjährungsfrist Spuren auszuwerten. Es sei darum auch den Angehörigen der Opfer geschuldet, so lange wie möglich alles zu tun, um den Täter verfolgen zu können. Das ist ein nachvollziehbares Argument.”

Stimmen wir diesem Argument nicht voreilig schrankenlos zu. Stellen wir genaue Fragen an die Fachwelt, und hören wir genau auf ihre Antworten. Für die Wiedereinführung der Todesstrafe wurde geltend gemacht, beim heutigen Stand der Forensik, insbesondere der Genetik, gebe es keine Fehlurteile mehr. Wir fragten einen Forensiker, und er verwahrte sich gegen eine solche  Verantwortung für das Leben vielleicht unschuldiger Menschen, die man seinem Fach aufbürden würde. Das theoretische Können einer Wissenschaft ist nicht mit Unfehlbarkeit gleichzusetzen. Wohl gerade die besten Fachleute lehnen einen Anspruch auf Unfehlbarkeit ab. Gewiss sind die Möglichkeiten der Aufklärung alter Straftaten stark gestiegen. Man kann ja auch feststellen, woran ein prähistorischer Wanderer im Ötztal starb. Aber mit welchem Mitteleinsatz (mehr dazu im letzten Abschnitt)? Mit welchem Irrtumsrisiko? Die nächste Generation der Fachwelt sieht es gelegentlich anders.

Isler: “Soll man also die Verjährung für Mord abschaffen? Man kann es getrost tun. Viel ändern wird es nicht. Ausser im Bewusstsein der Politiker, die denken, sie hätten ein grosses Problem gelöst.”

Würde sich tatsächlich nicht viel ändern?

Aus der Diskussion über die Durchsetzungsinitiative haben wir unter anderem gelernt, zu berücksichtigen, dass die Ressourcen des Sicherheitssektors nicht unbegrenzt sind. Durch die Ablehnung der DSI wurde eine stärkere Bindung von Personal und Geld an Bagatellfälle vermieden. Dadurch steht mehr davon für schwere Fälle und für Prävention zur Verfügung.

Welche realen und potenziellen Opfern dient es, wenn Ressourcen von Polizei, Forensik, Staatsanwaltschaften und Gerichten vermehrt bei den ältesten Fällen eingesetzt werden? Eine einleuchtende Meinung besagt, für die präventive Wirkung des Strafrechts sei wichtig, möglichst rasch nach der Tatbegehung auf den Täter zugreifen zu können.

Wollen wir wirklich Ressourcen von neuen schweren Straftaten zu alten verlagern?

 

 

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