“Wer beatmet wird, und wer nicht”: Unter diesem Titel steht ein Artikel von Katja Gelinsky, Referentin für Recht und Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, in der “Frankfurter Allgemeinen (FAZ)” vom 13.1.2021. Die Autorin ist Juristin und berichtete früher als FAZ-Redakteurin über das Bundesverfassungsgericht und die Europäischen Gerichtshöfe.
Die Empfehlungen zur Zuteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen lehnen eine Priorisierung aufgrund des Lebensalters, körperlicher oder geistiger Behinderung, ethnischer Herkunft oder der sozialen Stellung soll nicht stattfinden. Demgegenüber zeige sich in Umfragen eine hohe intuitive Bereitschaft, die Zuteilung knapper Beatmungsgeräte vom Alter, Gesundheitszustand oder auch der sozialen Rolle der Patienten abhängig zu machen.
Gelinsky sieht als Kernproblem die Frage mittelbarer Diskriminierung. Verbände behinderter Menschen kritisierten, über das zentrale Triage-Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht würden letztendlich doch alte und behinderte Patienten in verfassungswidriger Weise benachteiligt. Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen haben eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, weil das Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht durch Anknüpfung an den allgemeinen Gesundheitszustand sowie die Einbeziehung von Komorbiditäten und Gebrechlichkeit so ausgestaltet sei, dass Patienten mit Behinderungen im Wettbewerb um knappe intensivmedizinische Ressourcen schlechtere Chancen hätten. Deshalb müsse der Gesetzgeber verpflichtet werden, die Leitlinie der Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zu korrigieren.
Die Autorin weist darauf hin, dass das Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht nicht nur in medizinischen Kreisen als zentrale Leitlinie für Triage-Entscheidungen verwendet werde. So akzeptiere die Deutsche Bischofskonferenz das Entscheidungskriterium klinischer Prognose zusammen mit dem der Behandlungsbedürftigkeit, vorausgesetzt, dass sorgfältig abgewogen werde.
Ob und wie der Gesetzgeber tätig werden solle, sei umstritten. Unterschiedliche Auffassungen gebe es nicht nur zwischen den Disziplinen, Institutionen und Verbänden, sondern auch innerhalb einzelner Fachrichtungen, etwa in der Medizin: “Während die Bundesärztekammer eine gesetzliche Triage-Regelung weder für sinnvoll noch für passend hält, weil individuell vor Ort entschieden werden müsse, würde die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) Vorgaben des Gesetzgebers begrüßen, da die derzeitige Rechtsunsicherheit für Ärzte unerträglich sei.”
Bislang habe sich aber das Parlament weitgehend still verhalten. Immerhin habe im Gesundheitsausschuss ein internes Fachgespräch über „Handlungs- und Entscheidungssituationen der Triage“ stattgefunden. “Für den weiteren Dialog wäre es hilfreich” findet Gelinsky, “der Bundestag würde nicht nur das Bundesverfassungsgericht über das Fachgespräch informieren, sondern auch die Öffentlichkeit wissen lassen, was im Gesundheitsausschuss zur Verteilung von Lebenschancen und Sterberisiken bei Überlastung der Gesundheitssysteme besprochen wurde.”