UNSER RECHT - Newsletter

Hier finden Sie unseren Newsletter – von der aktuellsten Ausgabe zurück bis Anfang 2024.

Der Kommentar

Einstehen für das Non-Refoulement

Dr. iur. Ulrich Gut - 23. Oktober 2024

«Wirksame Massnahmen scheitern hauptsächlich an der Genfer Flüchtlings- und an der Europäischen Menschenrechtskonvention», schreibt Erwin Murer, emeritierter Professor für Sozialrecht der Universität Fribourg, in der NZZ vom 23.10.24. «Auch deren Revision müsste nach herrschender Juristenmeinung schon am Erfordernis der Einstimmigkeit scheitern. Vor allem aber dürfe an der Unantastbarkeit des fundamentalen Verbots der Zurückweisung (refoulement) ohnehin nicht gerüttelt werden.»

Es wird Zeit, sich ernsthaft mit dem Prinzip zu befassen, dass niemand in einen Staat zurückgeschafft werden darf, in dem er oder sie an Leib und Leben bedroht ist. Es geht nicht um eine «Juristenmeinung», sondern um unseren Willen. In der Bundesverfassung, angenommen durch Volk und Stände, steht in Artikel 25 Absatz 2: «Flüchtlinge dürfen nicht in einen Staat ausgeschafft oder ausgeliefert werden, in dem sie verfolgt werden.» Und in Absatz 3 desselben Artikels: «Niemand darf in einen Staat ausgeschafft werden, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht.»

Stehen wir dafür ein! Rückschaffungen sind nötig, aber wir wollen nicht, dass Berichte kommen, aus der Schweiz Zurückgeschaffte seien gefoltert oder hingerichtet worden. Die Schweiz verbot die Folter und schaffte die Todesstrafe ab. Wir wollen sie auch nicht im Ausland vollziehen lassen. Mehr dazu hier.

Gewaltenteilung – Gewaltenhemmung

Dr. iur. Patrice Zumsteg - 17. Juni 2024

Im Kontext des EGMR-Urteils zu den KlimaSeniorinnen ist oft zu hören, der Gerichtshof missachte die Gewaltenteilung. Das greift aus zwei Gründen zu kurz.

Erstens wird damit das Prinzip der Gewaltenteilung auf die sogenannte funktionelle Gewaltenteilung verkürzt und so getan, als würden Legislative, Exekutive und Judikative komplett isoliert wirken. Ausgeblendet wird, dass Gewaltenteilung auch die gegenseitige Hemmung der Gewalten verlangt.

Zweitens lassen sich Rechtsetzung und Rechtsanwendung gar nicht so klar trennen. René Rhinow schrieb (Rechtsetzung und Methodik, S. 176): «Rechtsgewinnung geschieht in einem wechselseitigen und unauflösbaren Prozess von Erkenntnis und Entscheidung, der am einen Pol durch entscheidungsarme Erkenntnis, am anderen Pol durch erkenntnisarme Dezision gekennzeichnet ist. Auf Erkenntnis kann die Rechtsgewinnung nicht verzichten, wenn sie nicht alle Vorgegebenheiten und Normativität überhaupt negieren und in einen reinen Subjektivismus abgleiten will. Entscheidung anderseits ist begleitendes und abschliessendes Konstitutionselement; es gibt keine Konkretisierung, ohne dass auch dezidierend das Resultat des Rechtsgewinnungsvorgangs herbeigeführt wird – und ohne dass damit (neues) Recht geschaffen wird. Normkonkretisierung ist folglich nicht nur Rechts«anwendung», sondern auch Recht«setzung», indem durch «schöpferische», d.h. erkennende und entscheidende Festlegung verbindlich geltendes Recht produziert wird.»

Ständerat: Urteil ignorieren?

Dr. iur. Ulrich Gut - 6. Juni 2024

Mit 31 zu 11 Stimmen, bei 2 Enthaltungen, nahm der Ständerat am 5. Juni 2024 die Erklärung gegen das KlimaSeniorinnen-Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in der Fassung seiner Kommission für Rechtsfragen an. Diese obsiegte mit 26 zu 17 über einen Antrag von Matthias Michel (FDP, ZG).

Die Differenz betraf die Aussage, «dass die Schweiz daher keinen Anlass sieht, dem Urteil des Gerichtshofs vom 09. April 2024 weitere Folge zu geben, da durch die bisherigen und laufenden klimapolitischen Bestrebungen der Schweiz die menschenrechtlichen Anforderungen des Urteils erfüllt sind». Kommissionspräsident Jositsch beteuerte, dies bedeute nicht, dass die Schweiz das Urteil «ignoriere». Ständerat Michel wies demgegenüber darauf hin, dass dies von ganz verschieden positionierten Empfängerinnen und Empfängern als Ignorieren des Urteils verstanden worden sei, und beantragte, «(…) dass die Schweiz daher aufgrund der bisherigen und laufenden klimapolitischen Bestrebungen der Schweiz die menschenrechtlichen Anforderungen des Urteils als erfüllt betrachtet.»

Die Ratspräsidentin teilte mit, der Bundesrat sei frei, an der Beratung von Erklärungen teilzunehmen oder nicht. Er habe sich dagegen entschieden. Solche Erklärungen binden ihn nicht. Er muss sich aber klar werden und entscheiden, was er beim Europarat vortragen und allenfalls beantragen will.

Link zum Amtlichen Bulletin.