Nach verbreiteter Meinung sollte in der Schweiz das Volk über “das Wichtigste” abstimmen können. Die schweizerische Bundesverfassung sorgt dafür aber nur mit Einschränkungen: Bei Volksinitiativen wird die Wichtigkeit nicht geprüft, und das Fehlen einer Verfassungsgerichtsbarkeit ermöglicht es dem Parlament, Normen, die Verfassungsrang hätten, in Gesetzen zu verankern. Immerhin kann gegen solche Gesetze das fakultative Referendum ergriffen werden.

Das Ja oder Nein zum Institutionellen Rahmenabkommen (InstA)  ist eine der wichtigsten Entscheidungen, die in der Schweiz in nächster Zeit fallen wird: Eine europapolitische Weichenstellung. Und es betrifft eine Frage, die das Volk in Abstimmungen mit grosser Mehrheit bejahte: Die Frage nach der Weiterentwicklung der bilateralen Vertragsbeziehungen mit der Europäischen Union. Aber es ist unsicher, ob diesem Volkswillen Rechnung getragen wird durch Ansetzung einer Volksabstimmung über das InstA. (Siehe hierzu Thomas Cottier: “Rahmenabkommen mit der EU: das Schweizervolk muss entscheiden.” Link.)

Es zeichnet sich ab, dass eine Mehrheit der Räte das Verhandlungsergebnis ablehnen wird. Vielleicht wird der Bundesrat erst gar keine Vorlage einbringen, sondern selber einen Schlussstrich ziehen.

Sollte das Abkommen aber ins Parlament kommen, stellt sich die Frage, ob dieses eine Volksabstimmung veranlassen könnte, aber mit ablehnender Empfehlung der Parlamentsmehrheit.

Das Obligatorische Referendum ist nur gegeben, wenn die Räte das InstA als Beitritt zu einer supranationalen Gemeinschaft einstufen (Art. 140 Abs. 1 lit. b der Bundesverfassung). Ein Teil seiner Gegner würde dies sicher gern bejahen, weil sie behaupten, das InstA führe zum Beitritt zur Europäischen Union.

Erachten die Räte das Fakultative Referendum für gegeben, wollen sie aber doch nach dem Grundsatz handeln, dass die wichtigsten Entscheide durch das Volk zu treffen sind, bleibt ihnen nur die Möglichkeit, dem Abkommen zuzustimmen und zugleich dafür zu sorgen, dass das Referendum ergriffen wird.

Abschliessend ein Blick in die Verfassungsgeschichte: 1972 unterstellten die Räte das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl freiwillig dem obligatorischen Referendum (BBL 1972 II 1034). Eine freiwillige Unterstellung unter das fakultative Referendum wäre wohl schon nach damaligem Verfassungsrecht nicht zulässig gewesen. Das Abkommen wurde übrigens von Volk und Ständen angenommen.

Ulrich Gut.

 

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