Was wäre die Reaktion der Ungeimpften, wenn die Schweiz eine Impfpflicht mit Bezug auf Covid-19 erliesse? Würde sich der Widerstand verhärten und die MassnahmengegnerInnen sich weiter radikalisieren? Würde das Nicht-Bezahlen einer allfälligen Busse zu einem heldenhaften Akt der Résistance gegen ein vermeintliches Unrechtsregime? Es gibt auch eine positivere Erzählung: Viele Ungeimpfte sind heute in ihrer Impfverweigerung gefangen. Sie würden das Gesicht verlieren gegenüber ihrem Umfeld, wenn Sie sich umentschieden und impfen liessen, sei es wegen politischen und öffentlichem Druck oder aus eigener Einsicht. Eine Impfpflicht könnte ihnen einen argumentativen Ausweg bieten: «Ich bin zwar weiterhin dagegen, aber wenn ich muss,…
Dieser Text ist erstmals als Editorial im Schweizerischen Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht erschienen (ZBl 1/2022, S. 1–2). «Unser Recht» veröffentlicht den Beitrag hier mit dem Einverständnis des Autors, Prof. Dr. iur. Markus Müller, Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht sowie öffentliches Verfahrensrecht an der Universität Bern. Von Freiheit, Überforderung und Bumerangen Sollte dereinst die Covid-Krise überstanden sein, werden wir – entgegen vielen anderslautenden Prognosen – rasch wieder zu alten Gewohnheiten zurückkehren, zu guten wie zu schlechten. Die Stabilität neuronaler Schaltkreise im Gehirn erschwert uns bekanntlich das Umlernen. Die eine oder andere Sitzung wird möglicherweise auch künftig digital stattfinden. Aber sonst?…
Continue readingDer Verein «Unser Recht» informiert seine Leserinnen und Leser regelmässig Entwicklungen in den Themenfeldern Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte. Hier folgt eine Zusammenstellung der Beiträge, die im Jahr 2021 auf das grösste Interesse stiessen. Zur Europapolitik und dem Rahmenabkommen Wird das Volk über das Institutionelle Rahmenabkommen abstimmen können? Ulrich E. Gut Rahmenabkommen: Kein Verhandlungsabbruch ohne Genehmigung durch das Parlament Markus Notter (in einem Gutachten) Das Bundespräsidium muss die Europapolitik führen Jean-Daniel Gerber (in Le Temps) Zur Corona-Pandemie Was bedeutet die Verhältnismässigkeit für die Bekämpfung der Corona-Pandemie Markus Kern, Jörg Künzli, Markus Müller und Judith Wyttenbach (in der NZZ) Unvollständige…
Continue readingvon Dr. iur. Dominik Elser, Geschäftsleiter des Vereins «Unser Recht» Vorbemerkung: Beachten Sie auch den später erschienen Nachtrag zu diesem Beitrag. Kurz nachdem das Covid-19-Gesetz auch in der zweiten Referendumsabstimmung deutlich angenommen wurde erschloss sich die Schweizer Corona-Diskussion ein neues Feld: die Impfpflicht. Unter dem Eindruck stark ansteigender Fallzahlen und knappen Kapazitäten auf Intensivstationen fragte etwa der SRF Club vom 30. November 2021: «Wäre eine Impfpflicht der Ausweg aus der Pandemie? Warum fürchtet die Politik diese Diskussion?» Daraufhin schlug diese Diskussion medial hohe Wellen, politisch bewegte sich allerdings wenig. Eine obligatorische Covid-Impfung scheint weiterhin alles andere als mehrheitsfähig zu sein.…
Continue readingVorbemerkung: Der Verein «Unser Recht» gibt keine Empfehlung für die bevorstehende Abstimmung über die Justiz-Initiative ab. Er möchte seine Leserinnen und Leser aber umfassend über diese Vorlage informieren. Neben diesem Beitrag gegen die Initiative erscheint auch ein Beitrag dafür (Odile Ammann und Markus Schärli: Richterinnen und Richter sollten keine Parteienvertreter mehr sein). — Die Justiz-Initiative fordert eine Entpolitisierung der Wahl der Richterinnen und Richter an unserem obersten Gericht. Sie möchte das erreichen, indem die Vorauswahl an ein Fachgremium übertragen wird, das dann nur nach objektiven Kriterien und nach der fachlichen und persönlichen Eignung der Kandidatinnen und Kandidaten eine Vorauswahl trifft.…
Continue readingVorbemerkung: Der Verein «Unser Recht» gibt keine Empfehlung für die bevorstehende Abstimmung über die Justiz-Initiative ab. Er möchte seine Leserinnen und Leser aber umfassend über diese Vorlage informieren. Neben diesem Beitrag für die Initiative erscheint auch ein Beitrag dagegen (Beat Flach: Das Justizsystem nicht über den Haufen werfen). — In der Diskussion um die Abstimmung zur Justizinitiative wird von den Gegnern immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, dass alle wichtigen Parteien am Bundesgericht vertreten seien. Diese Forderung legt offen, dass die Bedeutung der Gewaltentrennung und der Unabhängigkeit von Gerichten für das Funktionieren eines Rechtsstaats unterschätzt respektive unterschlagen wird.…
Continue readingvon Dr. iur. Dominik Elser, Geschäftsleiter des Vereins «Unser Recht» Eigentlich müsste «Unser Recht» ekstatisch sein: Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres ist die Stimmbevölkerung gebeten, über die rechtlichen Grundlagen für die Bewältigung einer umfassenden Krise zu befinden. Das ist direktdemokratische Erörterung der Rechtsstaatlichkeit in einer Extremsituation. Ein Traum für Verfechter des Rechtsstaats. Mehr noch: Sogenannte «Freunde der Verfassung» kämpfen auf den Strassen und in den Medien lautstark für Bürgerrechte und ein Professor für öffentliches Recht argumentiert in einem NZZ-Gastbeitrag mit – in der öffentlichen Debatte doch eher selten gehörten – Verfassungsartikeln. Nur, die vermeintliche Freude ist arg getrübt, wenn…
Continue readingDer Entscheid sorgte für allerlei Aufsehen: Ende Juli reduzierte das Appellationsgericht Basel-Stadt in einem Vergewaltigungsfall das Strafmass. In der mündlichen Begründung nahm es hierfür auch Bezug auf das Verhalten des Opfers: Man müsse feststellen, dass die Frau «mit dem Feuer gespielt» habe, weil sie Abend der Vergewaltigung zuvor in einem Club mit einem anderen Mann herumgemacht habe. Dabei habe sie «falsche Signale» an Männer ausgesendet, sie hätten mir ihr leichtes Spiel. Diese Begründung wurde als «Victim Blaming» aufgefasst und löste Protestkundgebungen vor dem Gericht aus. Das Appellationsgericht versuchte, sich mit einer Medienmitteilung zu erklären: «Bemisst das Gericht die Strafe, so…
Continue readingIm Juni hat der Ständerat beschlossen, die Hürde für vorsorgliche Massnahmen gegen Medien herabzusetzen. Nachfolgend wird der Versuch unternommen, die Gründe und die Argumente für diese Änderung zu rekonstruieren. Die Rechtskommission des Ständerates hat im Rahmen der laufenden Revision der Zivilprozessordnung (Geschäftsnummer 20.026) vorgeschlagen, in Art. 266 ZPO das Wort «besonders» zu streichen. Der Ständerat hat dieser Streichung am 16. Juni 2021 zugestimmt. Art. 266 ZPO lautet bisher wie folgt: «Gegen periodisch erscheinende Medien darf das Gericht eine vorsorgliche Massnahme nur anordnen, wenn: a. die drohende Rechtsverletzung der gesuchstellenden Partei einen besonders schweren Nachteil verursachen kann; b. offensichtlich kein Rechtfertigungsgrund vorliegt;…
Continue readingKürzlich berichtete der Tages-Anzeiger unter Berufung auf den Rechenschaftsbericht des Zürcher Obergerichts und dessen Beratung in der Justizkommission des Kantonsrates über die Überlastung des Zürcher Obergerichts. Auszug: “Fragt man Obergerichtspräsident Martin Langmeier nach den personellen Ressourcen, mit denen die beiden Strafkammern am Obergericht die Fälle zu bewältigen haben, kommt die Antwort kurz und knapp: «Es brennt.» Aber auch an den Bezirksgerichten ist die Arbeitsbelastung offenbar so gross, dass sich die gesundheitlichen Probleme bei den Mitarbeitenden häufen. Auf den Punkt bringt es die kantonsrätliche Justizkommission, die Anfang Juni im Zusammenhang mit der Genehmigung des Rechenschaftsberichts des Obergerichts festhielt: «Aus Sicht des…
Continue readingDer Ständerat hat der gesetzlichen Grundlage für die Schaffung einer Nationalen Menschenrechts-Institution mit erfreulich klarer Mehrheit zugestimmt. “Unser Recht” setzt sich weiterhin für dieses Instrument der Prävention für die Menschenrechte ein. Seine Schaffung stärkt auch die Glaubwürdigkeit der nach aussen gerichteten Menschenrechtspolitik unseres Landes. Finden Sie unsere Argumente im Brief, den wir am 21. Juni 2021 den Mitgliedern der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats zugestellt haben: deutsch français italiano
Continue readingDie Taliban übernehmen in immer grösseren Teilen Afghanistans die Macht. Regionen, in denen sie noch nicht herrschen, werden sie angreifen und erobern. Illusionslos sehen dies Regierungen, deren Truppen an der gescheiterten Militärintervention beteiligt waren. Diese Erwartung veranlasst die deutsche Regierung, Afghanen und Afghaninnen, die ihnen zum Beispiel Übersetzungsdienste geleistet haben, in Deutschland aufzunehmen, da sie von den Taliban als Kollaborateure misshandelt und getötet würden. Bekannt ist auch, dass die Taliban Frauenrechtlerinnen und AktivistInnen der Zivilgesellschaft auf Todeslisten aufgenommen haben.* Das Staatssekretariat für Migration hat erklärt, Geflohene aus Afghanistan nach Einzelfallprüfung nach Afghanistan zurückzuschaffen. Eine realistische Beurteilung ergibt jedoch, dass die…
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